Erwachende Leidenschaft
während er mit dem Arzt ein paar Worte austauschte. Als sie zufällig über die Schulter blickte, sah sie Flannaghan, der ihr einen mitfühlenden Blick zuwarf.
Sie hatte bereits Gewissenbisse, weil sie ihren Mann angelogen hatte, aber Flannaghans Miene machte es bloß noch schlimmer.
Doch dann sagte sie sich wieder, daß ihre Motive rein und ehrbar waren. Sie stieß einen kleinen Seufzer aus. Die gleiche Ausrede hatte sie auch benutzt, als sie für die Mutter Oberin den zweiten Satz Bücher angefertigt hatte.
Eine Sünde bleibt eine Sünde – so hatte es wenigstens die Nonne behauptet, als sie von dem kleinen Betrug erfuhr. Groß oder klein, das spielte keine Rolle. Gott, so hatte ihr die Mutter Oberin mit heftiger Überzeugung in ihrer Stimme erzählt, Gott führe eine genaue Liste von jeder noch so winzigen Sünde, die jeder einzelne Mann oder jede Frau auf Erden begangen hatte. Und sie hatte die Vermutung ausgesprochen, daß Alesandras Liste wahrscheinlich bis zum Grund des Meeres reichen würde.
Alesandra fand eigentlich nicht, daß sie bereits so oft gesündigt hatte. Sie hielt ihre Liste eher für gerade mal so lang wie ihren Schatten. Allerdings fragte sie sich, ob ihr Schöpfer wohl auf ihrer Liste zwei Spalten gemacht hatte: eine für kleinere und eine weitere für schwerwiegendere Vergehen.
Sie wurde ziemlich heftig wieder in die Realität zurückgeholt, als Sir Winters nun sagte: »Es tat mir sehr leid, als ich von dem Verlast Ihrer Diamond hören mußte. Wirklich Pech, so was.«
»Du hast einen Diamanten verloren?« fragte Alesandra überrascht.
Colin schüttelte den Kopf. »Es war ein Schiff, Alesandra, und es ist mit voll er Fracht untergegangen. Winters, wieso haben Sie denn schon davon gehört? Ich habe es selbst erst gestern erfahren!«
»Ein Freund von mir hatte heute ein paar Geschäfte bei Lloyd’s zu erledigen. Einer ihrer Agenten hat es erwähnt. Sie haben den Verlust versichert, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ist es wahr, daß es bereits das zweite ist, das Sie und Nathan in diesem Jahr verloren haben?«
Colin nickte.
»Warum hast du mir nichts gesagt?« fragte Alesandra, wobei sie versuchte, ihm nicht zu zeigen, wie verletzt sie war. Es war allerdings ein schwieriges Unterfangen.
»Ich wollte nicht, daß du dir Sorgen machst.«
Sie glaubte nicht, daß er ihr den vollen Grund genannt hatte. Ja, wahrscheinlich wollte er ihr wirklich keine Sorgen bereiten, aber, noch wichtiger: Er wollte auch seine Probleme nicht mit ihr teilen. Sie versuchte, sich nicht beleidigt zu fühlen. Colin hatte schließlich sein bisheriges Leben nur mit sich selbst Rat gehalten, und es war daher bestimmt nicht leicht für ihn, jemand anderen ins Vertrauen zu ziehen. Nicht einmal seine Frau.
Sie beschloß, sehr geduldig mit ihm zu sein. Colin mußte sich erst an ihre Anwesenheit gewöhnen, dann würde er irgendwann schon genug Vertrauen zu ihr finden.
Ihr Mann redete immer noch mit dem Arzt, als sie sich schließlich entschuldigte und nach oben ging. Sie trat in ihr Zimmer und begann, die Liste mit den Vorschlägen von Winters zusammenzufassen, doch ihr Geist war nicht bei der Sache. Er hätte ihr wirklich von dem Schiff erzählen sollen, verdammt. Wenn er besorgt war, hatte sie jedes Recht, ebenso besorgt zu sein. Eheleute sollten ihre Sorgen teilen, oder etwa nicht?
Flannaghan kam, um sie zum Essen zu holen. Auf ihrem Weg nach unten bat sie ihn um einen weiteren Gefallen.
»Haben Sie von den Problem gehört, die der Viscount of Talbot hat?«
»O ja«, antwortete Flannaghan. »Alle Welt spricht ja darüber. Lady Roberta hat ihren Mann verlassen.«
»Colin hat mir verboten, mit dem Viscount zu reden, und ich muß ihm wohl gehorchen. Mein Mann befürchtet, ich könnte den Mann nur noch mehr durcheinanderbringen.«
»Warum wollen Sie denn mit ihm sprechen?«
»Ich denke, es könnte eine Verbindung zwischen dem plötzlichen Verschwinden seiner Frau und dem meiner Freundin, Lady Victoria, bestehen. Sie ist doch auch verschwunden, Flannaghan. Vielleicht könnten Sie ein bißchen mit den Bediensteten plaudern? Ich möchte herausfinden, ob Lady Roberta irgendwelche kleinen Geschenke von einem unbekannten Bewunderer erhalten hat.«
»Was für Geschenke denn, Prinzessin?«
Sie zuckte die Schultern. »Blumen … Pralinen vielleicht«, sagte sie. »Würden die Zofen so etwas bemerken?«
Flannaghan nickte. »Ja, ganz sicher. Und sie würden vor allem untereinander reden. Mir würden sie allerdings nichts sagen,
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