Erwachende Leidenschaft
plötzlich. Sie war so froh, daß sie fast wieder geweint hätte. Sie tat es aber nicht, weil Colin ihr eben klargemacht hatte, wie traurig ihn das machte. Sie zweifelte auch daran, daß er es verstehen würde. Sie jedenfalls verstand genug, und das war alles, was zählte. Die Ehe war also für ihren Mann doch nicht zu einem Gefängnis geworden.
Er war verwirrt, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. »Liebling?« fragte er.
»Du bist immer noch frei, Colin.«
Seine Augen weiteten sich. »Du sagst die seltsamsten Sachen«, stellte er fest.
»Dein Bruder wartet.«
Er nickte. »Ich möchte, daß du über meine Frage nachdenkst, während ich mit Caine rede. Tust du das, Liebes?«
»Welche Frage?«
Colin schwang die Beine aus dem Bett und zog seine Hose an. »Ich habe dich gefragt, ob du mir nicht etwas mitteilen wolltest.«
Er schlüpfte mit nackten Füßen in seine Schuhe und wandte sich zur Tür, um aus seinem Zimmer ein frisches Hemd zu holen. Das andere war zerrissen.
»Denk darüber nach«, sagte er. Er schnappte sich seine Jacke, zwinkerte ihr zu und verließ den Raum.
Caine hatte es sich im Ledersessel gemütlich gemacht. Colin nickte ihm zu, setzte sich dann hinter seinen Schreibtisch und griff nach Tinte und Feder.
Caine warf einen Blick auf seinen Bruder und grinste breit. »Ich habe euch gestört. Tut mir leid.«
Colin ignorierte das Lachen in Caines Stimme. Er wußte, daß er zerzaust aussah.
»Die Ehe steht dir gut, Colin.«
Colin schützte keine Gleichgültigkeit vor. Er schaute auf und ließ seinen Bruder sein wahres Gesicht sehen. Er brauchte keine Maske mehr.
»Ich bin ein Mann, der liebt.«
Caine lachte. »Du hast lang genug gebraucht, um es zu merken.«
»Nicht länger, als du gebraucht hast, um zu erkennen, daß du Jade liebst.«
Caine nickte zustimmend, und Colin wandte sich wieder dem Papier auf seinem Schreibtisch zu.
»Was tust du da?«
Colins Grinsen war ein bißchen verlegen, als er gestand, er würde eine Liste aufstellen.
»Meine Frau scheint mich mit ihrem Organisationsdrang angesteckt zu haben«, gab er zu. »Hast du mit dem Viscount gesprochen?«
Caines Grinsen schwand. Er lockerte seine Krawatte, als er berichtete. »Harold ist in einem furchtbaren Zustand«, sagte er, wobei er von seinem ehemaligen Kommilitonen mit Vornamen sprach. »Er bringt kaum noch ein vernünftiges Wort heraus. Als er seine Frau zum letzten Mal sah, hatten die beiden wohl einen Streit, und seitdem quält er sich mit Vorwürfen wegen der harschen Worte, die er ihr gesagt hat. Es ist grausam, seinen Schmerz anzusehen.«
»Armer Teufel«, sagte Caine. Er schüttelte den Kopf. »Hat er dir erzählt, worum es in dem Streit ging?«
»Er war sicher, daß sie einen Liebhaber hatte«, antwortete Caine. »Sie bekam kleine Geschenke, und Harold schloß daraus, daß sie sich mit einem anderen Mann eingelassen hatte.«
»Verdammt.«
»Er begreift es auch nicht, Colin. Ich erzählte ihm von den Geschenken, die unsere Frauen erhalten haben, aber er stand zu sehr unter Alkohol, um einen Zusammenhang zu sehen. Er glaubt weiterhin, sein Zorn hätte Roberta dazu getrieben, mit ihrem Liebhaber wegzulaufen.«
Colin lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Irgend etwas Hilfreiches, was er beitragen konnte?«
»Nein.«
Die Brüder verfielen in Schweigen, während jeder seinen Gedanken nachhing. Colin schob den Stuhl zurück und bückte sich, um seine Schuhe auszuziehen. Er schob seinen rechten Schuh vom Fuß, dann den Linken, und wollte sich gerade wieder aufsetzen, als er entdeckte, daß etwas aus dem Futter seines linken Schuhs hervorlugte.
»Verdammt«, murmelte er. Sein bequemstes Paar Schuhe begann bereits, auseinanderzufallen. Er hob den Schuh auf, um zu sehen, ob er sich reparieren ließ, als ihm die Einlage in die Hand rutschte.
Er hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen. Sofort hob er das Gegenstück hoch und untersuchte es. Ausgerechnet in diesen Moment betrat Flannaghan an mit einer Karaffe Brandy das Arbeitszimmer. Er warf einen Blick auf Colin und das, was er in seinen Händen hielt, und machte augenblicklich kehrt.
»Komm mal her, Flannaghan«, befahl Colin.
»Mylord wünscht etwas zu trinken?« wandte sich Flannaghan an Caine.
»Ja«, antwortete Caine. »Aber ich hätte gerne Wasser, keinen Brandy. Nachdem ich Harold heute gesehen habe, dreht mir der Gedanke an Alkohol den Magen um.«
»Ich werde es sofort holen.«
Flannaghan versuchte nochmals, zu entkommen. Colin rief ihn
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