Erwachende Leidenschaft
bevor ihre Tochter alt genug gewesen war, ein derartiges Wissen zu brauchen.
Und so hatten die Nonnen versucht, die Aufgabe zu erfüllen. »Wie alt ist eigentlich die Mutter Oberin?« fragte er.
»Sie sieht aus wie achtzig, aber ich schätze, sie wird wohl jünger sein«, antwortete Alesandra. »Ich habe mich nie getraut, zu fragen. Wieso willst du das wissen?«
»Nur so«, antwortete er. Dann lenkte er das Thema wieder auf ihre Ängste. »Alesandra, ich werde dir alles erklären, was du wissen mußt.«
Die Zärtlichkeit in seiner Stimme war wie ein beruhigendes Streicheln. »Wirklich?«
»Wirklich«, versprach er fast gedankenverloren. Er versuchte sich gerade auszumalen, wie die altjüngferliche Nonne dem jungen Mädchen die Tatsachen des Lebens erklärte, indem sie die hübschen blumigen Worte wie »Tempel« und »Opfer« verwendete. Teufel, zu gerne wäre er bei diesem Gespräch unter vier Augen dabei gewesen.
Alesandra sah das Funkeln in Colins Augen und schloß sofort daraus, daß er ihre Naivität zu kornisch fand.
»Es tut mir leid, daß ich mich so … unerfahren gebe.«
»Du bist unerfahren«, korrigierte er sanft.
»Ja, und es tut mir leid.«
Colin lachte. »Mir nicht!«
»Und du wirst mir wirklich alle Fragen beantworten?« fragte sie, immer noch nicht ganz sicher, ob sie ihm glauben konnte. »Du wirst nichts auslassen? Ich mag nämlich keine Überraschungen.«
»Ich werde nichts auslassen.«
Sie seufzte und hörte auf, an ihrem Kleid herumzuzupfen. Colins Versprechen hatte ihr geholfen, die Kontrolle über ihre Furcht wiederzuerlangen. Es machte ihr auch nichts, daß er ihre Verlegenheit lustig fand. Er würde ihr die notwendigen Informationen geben, und das war alles, was zählte. Ihre Erleichterung machte sie schwach vor Dankbarkeit.
»Nun, dann wird ja alles gut werden«, verkündete sie. »Sollten wir nicht vielleicht jetzt aussteigen?«
Colin fand das auch. Er sprang zuerst hinaus und half ihr dann. Die beiden Wachen zeigten ihre Sorge um die Prinzessin deutlich. Sie wollten sie endlich wieder in der Sicherheit des Hauses wissen.
Flannaghan trat im Türrahmen von einem Fuß auf den anderen und wartete ungeduldig darauf, seine neue Herrin begrüßen zu dürfen. Er nahm ihr den Umhang ab, legte ihn sich über den Arm und gratulierte herzlich.
»Wenn Sie nun noch oben gehen wollen, Prinzessin, dann bereite ich Ihnen gerne ein Bad«, schlug er vor.
Der Gedanke an ein langes, heißes Bad nach diesem anstrengenden Tag war verlockend. Es wäre heute schon das zweite Mal, aber die Mutter Oberin hatte ihr gesagt, daß die Reinlichkeit eine gotteswürdige Tugend war, und so empfand sie sich nicht als dekadent.
»Colin will mit mir im Arbeitszimmer etwas besprechen«, sagte sie zu Flannaghan. »Ich bade aber später gerne.«
»Nimm jetzt dein Bad«, warf Colin ein. »Ich muß noch ein paar Papiere durchgehen.«
Das war natürlich glatt gelogen. Colin hatte keine Absicht, in seiner Hochzeitsnacht zu arbeiten, aber er hoffte darauf, daß das heiße Wasser ihr Entspannung brachte. Sie sah aus, als könnte sie genau das dringend brauchen.
»Wie du willst«, sagte Alesandra. Dann folgte sie dem Butler zur Treppe, und Colin hielt sich dicht hinter ihr.
»War die Hochzeit schön?« fragte Flannaghan.
»O ja«, antwortete Alesandra voller Inbrunst. »Alles lief ganz wunderbar. Nicht wahr, Colin?«
»Du bist fast entführt worden«, rief er ihr in Erinnerung.
»Ja, aber davon abgesehen war es doch wunderschön, nicht wahr?«
»Und erschreckend.«
»Ja, aber …«
»Sie haben dein Hochzeitskleid in Fetzen gerissen.«
Sie blieb auf der obersten Stufe stehen und wirbelte zu ihm herum. Ihr wilder Blick ließ ihn darauf schließen, daß sie nicht an diese Ereignisse erinnert werden wollte.
»Jede Braut will doch glauben, daß ihre Hochzeit perfekt war«, verkündete sie.
Er zwinkerte ihr zu. »Dann war sie perfekt!«
Sie lächelte zufrieden.
Flannaghan wartete, bis er mit Alesandra allein im Schlafzimmer war, um sie nach Einzelheiten zu fragen. Raymond und Stefan brachten Eimer mit heißem, dampfendem Wasser, um die Wanne zu füllen. Der Butler hatte daran gedacht, ihre Sachen auszupacken, und ein weißes Nachtkleid und einen Hausmantel über ihr Bett gelegt.
Sie ließ sich Zeit in der Wanne. Das heiße Wasser entspannte sie geistig und körperlich. Sie wusch ihr Haar mit einer Rosenseife und setzte sich dann an den Ofen, um es zu trocknen. Alesandra sah keinen Grund, sich zu beeilen, denn
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