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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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Violet, aber wahrscheinlich hat dir das mehr wehgetan als ihm.«
    Als hätte ich das nicht selbst gewusst.
    Lincoln ignorierte Griffin und schaute mich einfach an. »Es war keine Lüge.« Beim Sprechen schüttelte er den Kopf. Wahrscheinlich versuchte er, sich selbst davon zu überzeugen. »Ich habe dir nur nicht alles gesagt. Ich konnte nicht, es war mir nicht erlaubt. Ich wollte es dir so oft sagen. Was du empfindest … ich empfinde …« – er ließ den Kopf hängen, aber mir entging der schuldbewusste Blick nicht, den er Griffin zuwarf – »…das war immer echt. Du musstest erst die Wahrheit erfahren, damit es keine Geheimnisse zwischen uns gibt. Violet, es ist komplizierter, als du denkst. Es ist nicht so, dass ich nicht …«
    Ich warf die Hände nach oben, um ihm das Wort abzuschneiden. »NEIN!«
    Ich ahnte, wie dieser Satz geendet hätte, und konnte es mir einfach nicht anhören. Ich wusste nicht, ob ich stark genug wäre, es zu hören, wusste nicht, ob ich das bisschen Beherrschung, an das ich mich verzweifelt klammerte, aufrechterhalten könnte. Ich schüttelte den Kopf und schaffte es, noch einmal Nein zu sagen.
    Ich ging an den einzigen Ort, an den ich mich zurückziehen konnte. Ins Badezimmer. Als ich sicher eingeschlossen war, rang ich innerlich mit mir, ob ich zurückgehen oder einfach durch das Fenster klettern und verschwinden sollte.
    Denk an die Regeln, Vi – mehr denn je musst du jetzt stark sein. Nicht weglaufen. Nicht aufgeben. Einfach. Ja, klar.
    Ich machte das Licht nicht an, sondern zündete die Kerze an, die Lincoln auf dem Holzregal über der Handtuchablage stehen hatte. Dann stützte ich mich auf das Waschbecken und starrte mich im Spiegel an.
    »Was um alles in der Welt bin ich?«, flüsterte ich.
    Ich betrachtete mein Spiegelbild, das im Kerzenschein flackerte – strähniges, feuchtes Haar, das mir fast bis zur Taille reichte, fleckige, rote Augen mit Tränen in den Augenwinkeln und leicht angeschwollene Lippen. Dann beantwortete ich mir die Frage selbst: »Am Ende. Das bin ich.«
    Ich ließ das Rollo herunter, um gar nicht auf den Gedanken zu kommen, davonzulaufen, und kletterte in die leere Badewanne. Ich atmete den Vanillegeruch der Kerze ein und versuchte, mich auf diese Weise zu beruhigen, die Tränen versiegen zu lassen. Es half nichts. Hatte mich alles, wofür ich so hart gearbeitet hatte, alles, was ich durchgestanden hatte, einfach an diesen Punkt hier geführt? Hatte das normale Leben, das ich so mühevoll aufrechterhalten hatte, eigentlich jemals mir gehört?
    Ich konnte nicht sagen, ob es mein Herz war oder mein Verstand, was tief in mir aufschrie. Was immer es war, die Botschaft war klar – Lügner. Wie hatte Lincoln mich so lange anlügen können? Wie konnte der einzige Mensch, der mir geholfen hatte, Stärke und Normalität zurück in mein Leben zu bringen, auch der sein, der dafür sorgte, dass mein Leben niemals wieder normal sein würde?
    Der dumpfe Klang sich nähernder Schritte unterbrach mein Bad in Selbstmitleid. Sie klangen schicksalsschwer. Nach einem kurzen Klopfen erklang Griffins Stimme.
    »Violet, ich muss bald los. Wenn du noch Fragen hast, kann ich sie gern beantworten, aber du musst herauskommen. Ich bin nicht der Typ, der gern im Badezimmer plaudert.« Ich glaube, er versuchte, witzig zu sein. War er aber nicht.
    Ich holte ein paar Mal tief Luft, wusch mein Gesicht, fasste mein wirres Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und öffnete die Tür. Ich laufe nicht weg.
    Als ich mich wieder in den Sessel setzte, ignorierte ich Lincoln, der jetzt neben Griffin auf der Couch saß. Es kostete mich meine ganze Kraft, ihn nicht anzuschauen, ihn nicht zu fragen, warum und wie. Stattdessen schenkte ich meine gesamte Aufmerksamkeit Griffin und versuchte, pragmatisch zu sein.
    »Also, wer genau bist eigentlich du?« Ich hoffte, durch meinen gereizten Tonfall meine Angst verbergen zu können.
    »Ich bin ein Grigori, wie Lincoln. Ich tue mein Bestes, die Grigori in dieser Stadt zu betreuen und anzuführen – in guten wie in schlechten Tagen.«
    »Du hast also die Verantwortung.« Also wirklich, lasst uns doch einfach mit diesem Bullshit aufhören, Leute!
    »Ja.« Er lächelte, meine Direktheit schien ihm zu gefallen. »Und wenn du dich dafür entscheidest, ein Grigori zu werden, werde ich mein Bestes tun, auch dich anzuleiten.«
    »Aber ist das wirklich meine Entscheidung?«
    Er nickte. »Deshalb hast du auch bisher noch nicht so viele Veränderungen gefühlt –

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