Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
Vom Netzwerk:
hämmerte, als würde ich ihn durch ein Stethoskop hören. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und blickte zu ihm auf.
    Seine Augen, die so braun waren, dass sie schwarz wirkten, hefteten sich auf mich und zogen mich in ihren Bann. Ich sah Traurigkeit in ihnen aufflackern. Sie durchdrang meinen Körper und hüllte mich in Schmerz. Seinetwegen tat mir das Herz weh, als wäre es mein eigener Kummer. Meine Hand zuckte an meine Brust, als ich die Tiefe seines Leids erkannte, und ich schluckte schwer. Dann war der Blick verschwunden und wurde durch etwas anderes ersetzt. Verlangen …?
    Mit erbarmungsloser Macht wischte es die Traurigkeit fort. Ich fühlte es, als wäre es mein eigenes Verlangen … nach ihm. Ich beugte mich zu ihm und griff nach der Kante meines Tagebuchs. Durch die Verbindung spürte ich das Summen von Energie. Dann legte es sich irgendwie.
    Langsam zog er das Tagebuch zu sich und gab mir Zeit, die Hand wegzuziehen, falls ich das wollte. Ein Teil von mir wollte es, wusste, dass ich es tun sollte . Aber ich tat es nicht. Da war eine Verbindung, die ich nicht erklären konnte.
    Als nur noch wenige Zentimeter zwischen uns lagen, streckte er seine andere Hand aus und legte sie flach auf mein Schlüsselbein. Ich atmete tief ein. Es fühlte sich an, als hätte er mich genau an der Stelle berührt, wo er die größte Wirkung erzielte. Es schien intimer als alles, was er sonst hätte tun können. Das Summen auf meiner Haut fühlte sich an wie winzige Blitzschläge, nur dass sie nicht wehtaten. Nicht einmal annähernd wehtaten.
    Ich wusste, dass seine Hand jetzt einfach nach oben wandern und zudrücken könnte. Ich war mir sicher, dass er die Kraft hätte, mir das Genick zu brechen, aber ebenso sicher war ich mir, dass er das nicht tun würde. Er bewegte sich auf mich zu, um mich zu küssen. Ich hörte auf zu atmen. Gerade als seine Lippen die meinen berühren wollten, hielt er inne, atmete tief ein und flüsterte: »Du riechst nach Apfel. Es ist so …« Seine Lippen waren ganz nah an meinen, mit jedem Wort konnte ich das Vibrieren seiner Stimme fühlen und die Wärme seines Atems – er roch nach Vanille. Ich stand erstarrt da, wartete. Seine Hand wanderte langsam von meinem Schlüsselbein hinauf zur einen Seite meines Gesichts. Ich spürte, wie mein Körper reagierte, was nicht gerade hilfreich war.
    Er flüsterte wieder. »Ich nehme nichts von dir, Violet. Du wirst diejenige sein, die mich küsst.« Er trat zurück und lächelte, als wüsste er genau, was für eine Wirkung er auf mich hatte. »Wenn du es am meisten willst.«
    Meine Knie waren so zittrig, dass ich nicht wusste, wie ich immer noch aufrecht stehen konnte. Langsam ließ er das Tagebuch los und wich zurück, wobei er den Weg zur Wohnungstür mit einer schwungvollen Handbewegung freigab.
    »Es tut mir leid, dass ich uneingeladen zu dir nach Hause gekommen bin. Ich werde dich in …« – er lachte kurz auf – »Ruhe lassen.« Er öffnete die Tür zum Treppenhaus.
    »Es gibt einen Aufzug«, sagte ich wie auf Autopilot.
    »Zu langsam.« Er lächelte und fügte hinzu: »Du bist nicht wie die anderen, Violet. Du strahlst Macht aus. Wenn du dich vor ihr versteckst, wird sie dich bestrafen.«
    »Sie sagten, ich hätte die Wahl«, sagte ich schnell.
    »Natürlich. Aber Wahl und Konsequenzen sind nicht für alle gleich. Ich vermute, dass es nicht einfach sein wird, deine Macht zu ignorieren. Ein Engel, der ein solch starkes Wesen übertragen kann, muss darauf vertraut haben, dass du es annimmst. Auf Wiedersehen, Violet … bis bald.« Dann war er verschwunden.
    Ich stand reglos da. Er hätte mich fast geküsst. Und ich hätte es zugelassen! Was passierte mit mir? Das waren die ersten Gedanken, die mir in den Kopf trudelten, und sie waren die Steinchen, die die Lawine ins Rollen brachten. Dieser Tag, diese Woche, mein ganzes Leben tobte mir durch den Kopf und zerrte an meinen Gefühlen. Gedanken, die ich versucht hatte zu ignorieren, brachen durch meine geschwächte Abwehr. Würde ich je das Leben, wie ich es kannte, zurückbekommen? Benutzte mich Lincoln? Und vielleicht das Schlimmste von allem – hatte mir meine Mutter das alles angetan?
    Ich fiel auf die Knie. Ich konnte nicht atmen. Als sich mir die Sicht vernebelte, hörte ich, wie die Tür aufging. Ich hatte keine Zeit zu schauen, wieso, denn plötzlich war da … nichts.

KAPITEL DREIZEHN
    »Jedes sichtbare Ding auf der Welt steht unter der Obhut eines Engels.«
    AUGUSTINUS
     
    E twas Kaltes,

Weitere Kostenlose Bücher