Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
Vom Netzwerk:
Nasses erstickte mich. Erschrocken schnappte ich nach Luft, öffnete die Augen und sah nur einen wolkigen Nebel. Jemand versuchte mich umzubringen. Ich machte die – immer noch verschwommene – Gestalt aus, die über mir schwebte. Ich brauchte Freiheit und handelte impulsiv. Mit einer Bewegung, die eine Kombination aus Selbstverteidigung und Kickboxen war, beugte ich den Arm und holte aus, um meinem Angreifer den Ellbogen ins Gesicht zu rammen. Ich konnte nicht klar sehen, aber ich fühlte den Aufprall. Es war nicht mein bester Versuch, aber es reichte, um ein paar Sekunden Zeit zu gewinnen, um in eine bessere Verteidigungsposition zu rücken. Auf Händen und Füßen kroch ich, so schnell es ging, davon.
    Er brüllte mich an und kam mir nach. Er klang außer sich. Ich spürte, dass er näher kam. Ich blickte über die Schulter nach hinten und meine Sicht wurde klarer. Laute verwandelten sich in Worte. »Violet, Violet, hör auf! Ich bin’s!«
    Das Wohnzimmer nahm allmählich um mich herum Form an.
    »Dad?«, sagte ich, noch immer fix und fertig.
    »Ja!«, rief er und rieb sich das Gesicht.
    »Was machst du hier?«, fragte ich zunehmend verwirrt.
    »Heute ist dieser bescheuerte Firmen-Golftag — ich bin nur kurz nach Hause gekommen, um mich umzuziehen. Verdammt, Violet.« Er machte den Gefrierschrank auf und holte eine Tüte Erbsen heraus. »Du musst mal einen Gang runterschalten mit diesen Kampfsportarten. Das gibt bestimmt einen blauen Fleck.«
    Er sah aus, als wollte er noch mehr sagen, ließ es aber dann dabei bewenden. Ich war froh darüber. Ich hatte sowieso keine Antworten für ihn. Na ja, zumindest keine, die ich hätte zugeben können. Ich war nicht in der Lage, Dad zu erklären, wie abnormal ich war.
    Es dauerte eine Weile, bis ich wiederhergestellt war. Duschen und Umziehen trug dazu bei, ein wenig Normalität zurück in mein Leben zu bringen. Ich zog eine bequeme Jeans und ein langärmliges T-Shirt an, um meine Arme zu bedecken. Von Dingen umgeben zu sein, die mir gehörten – meine Auswahl, mein Geschmack –, schien mir plötzlich so wichtig zu sein wie nie zuvor.
    Ich rollte mich auf dem Sofa zusammen, während Dad mich von der Küche her unruhig beobachtete. Er schob die Zuckerdose herum, faltete das Geschirrtuch zusammen, zupfte nicht vorhandene Flusen von seinem Pulli. Schließlich brach ich das Schweigen für ihn, weil ich es nicht mehr aushielt, den Leerlauf in seinem Gehirn praktisch hören zu können.
    »Es tut mir echt leid, dass ich dich geschlagen habe, Dad. Die letzten paar Tage waren schrecklich und ich war … es tut mir leid.«
    »Violet, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich weiß, dass du es nicht mit Absicht getan hast. Aber ich mache mir Sorgen um dich. Du warst in der letzten Zeit nicht du selbst. Ich glaube, du warst ohnmächtig. Was ist passiert?«
    Ich wollte weinen, zusammenbrechen und mich von ihm umsorgen lassen. Ich wollte »Dada« zu ihm sagen, wie ich es als kleines Kind getan hatte, wenn ich mich fürchtete. Ich wollte, dass er sagte: »Es ist okay, Kleines. Es kann dir nichts passieren, wenn ich da bin.« So wie er es immer getan hatte. Es spielte keine Rolle, dass wir beide wussten, dass das nicht stimmte. Ich wollte trotzdem, dass er es sagte.
    »Ich … ich … es ist nichts. Ich habe mich mit Lincoln gestritten.« Das war alles, was ich herausbrachte, als ich es schaffte, den Mund aufzumachen.
    Dad entspannte sich. Das war von seinem Standpunkt aus eine vollkommen akzeptable Erklärung. »Liebling … es tut mir leid. Wenn er nicht sieht, was für ein Goldstück er da vor sich hat, verdient er dich gar nicht.«
    Ein Spruch, auf den Eltern immer wieder gern zurückgreifen.
    »Ja … na ja, ich werde ein wenig auf Abstand gehen.«
    »Das ist vielleicht keine schlechte Idee.« Er lächelte verständnisvoll.
    Ich fühlte mich schlecht, aber das war ja nicht alles gelogen und ich war einfach noch nicht bereit, seine Fragen zu beantworten oder auch noch mit seinen Gefühlen klarzukommen.
    Ich kam ja nicht mal mit meinen eigenen klar.
     
    D ie nächsten paar Tage krochen langsam dahin, während ich versuchte, den Anschein eines normalen Lebens zusammenzustückeln und so zu tun, als wäre alles so wie vorher. Das Problem war, dass alles auf die eine oder andere Weise mit Lincoln zu tun gehabt hatte. Ohne ihn tat sich in meinem Leben ein klaffendes Loch auf. Es ärgerte mich, dass er jeden Zentimeter meines Lebens durchdrungen hatte, und zwar so sehr, dass ich gar

Weitere Kostenlose Bücher