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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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nicht mehr wusste, wie es ohne ihn gehen sollte.
    Ich hing viel mit Steph herum, aber ich verbrachte auch viel Zeit allein. Ich dachte, dass ich dadurch viel Zeit haben würde, an meinen Malkünsten zu arbeiten, aber jedes Mal wenn ich ein Bild halb fertig hatte, wurde mir bewusst, dass ich beim Malen immer Lincolns Wand im Kopf hatte. Alles führte immer und immer wieder zu ihm zurück. Nun konnte ich nicht einmal mehr in die Welt des Malens flüchten. Das war etwas ganz Neues.
    Lincoln wartete nicht mehr an der Bushaltestelle auf mich. Er schrieb auch keine SMS mehr. Ob es das wohl gewesen war? Hatte es für ihn so wenig gebraucht, um mich aufzugeben? Ja, rief eine böse Stimme in mir. Du warst eine Idiotin, wenn du je geglaubt hast, dass ihm etwas an dir liegt!
     
    A m Wochenende verabredete ich mich mit Steph im Indoor-Klettercenter. Ich war überrascht, als sie vorgeschlagen hatte, mit mir dorthin zu gehen. Das war ein sicheres Zeichen dafür, dass ich ein absolut jämmerliches Bild abgab. Die Tatsache, dass sie wirklich riskierte, sich einen Fingernagel abzubrechen, und sich zu echter körperlicher Aktivität aufraffte, um mich glücklich zu machen, war kein geringes Opfer. Es war peinlich, dass jeder sehen konnte, wie sehr mich Lincoln verletzt hatte – auch wenn niemand wusste, warum.
    Steph erklärte sich schnell bereit, die Seilsicherung zu übernehmen, damit sie nicht selbst klettern musste.
    »Weißt du, es macht dir vielleicht sogar Spaß, wenn du es mal ausprobierst«, sagte ich, während ich meine Laufschuhe anzog.
    »Und dir macht es vielleicht sogar Spaß, wenn wir stattdessen einen Film anschauen gehen. Beides werden wir wohl nie erfahren.« Sie zeigte auf die Kletterwand vor uns. »Also, klettern«, befahl sie.
    Ich rastete das Sicherheitsseil ein und wandte mich um. »Danke, Steph. Ich bin froh, dass du da bist.«
    Sie strahlte mich an. »Ich weiß, ich weiß, ich bin fabelhaft.«
    »Du bist eine gute Freundin«, setzte ich noch eins drauf.
    »Ehrlich gesagt habe ich nur Angst, dass dir so langsam die Leute ausgehen, denen du eine reinhauen kannst. Ich möchte nicht als Nächste dran sein. Jetzt klettere, damit wir hier wieder rauskommen!« Sie warf mir ein besserwisserisches Lächeln zu und zupfte an ihrem Ende des Seils, damit ich mich bewegte.
    Ich lachte und war froh, dass ich wenigstens sie noch hatte.
    Klettern war wie eine Therapie und es fühlte sich gut an, körperliche Arbeit zu leisten. Ich hatte den üblichen Sport und all das vermieden, was Lincoln und ich zusammen unternommen hatten, und ich vermisste es wirklich.
    Ich schaute von oben herunter und sah, dass Steph mit einem Typ aus unserer Schule plauderte. Ich wusste, dass er Marcus hieß. Seit Wochen geriet sie jetzt schon in Verzückung, wenn sie von ihm sprach. Schließlich blickte sie zu mir herauf und winkte kurz, bevor sie sich wieder ihrem Gespräch zuwandte. Jetzt war sie glücklich darüber, dass wir klettern gegangen waren.
    Ich beeilte mich mit dem Abstieg, in der Hoffnung, noch eine Klettertour machen zu können, solange Steph Unterhaltung hatte. Und da passierte es. Ich verpasste einen Tritt und rutschte ab. Hastig tastete ich mit den Händen nach einem Halt an der Kletterwand, aber es war zu spät. Es war einer von diesen Momenten, in denen man in einem Bruchteil von Sekunden ewig Zeit zu haben scheint, darüber nachzudenken, was gerade passiert. Als ich fiel, wurde mir klar: Steph schaut nicht her — sie wird das Sicherheitsseil nicht halten können – ich vermisse Lincoln – ich vermisse ihn so sehr.
    Die Arme, die mich auffingen, waren weich und selbstsicher, sie nahmen mein Gewicht auf, als hätte ich mich einfach ins Bett fallen lassen. Er hielt mich in den Armen und ich wusste sofort, wer er war. Ich hörte Steph schreien und auf mich zukommen, aber das war alles zweitrangig im Vergleich zu dem Apfelgeschmack, der meine Geschmacksknospen flutete, dem Summen der Energie, die durch meinen Körper jagte und irgendwie wieder zu ihm zurückströmte, als würde sie sich selbst hin und her bewegen. Meine Augen waren geschlossen, aber ich konnte noch immer die Blitze sehen, wie Lichter, die an – und ausgingen, als würden Tag und Nacht sich mit einem Wimpernschlag abwechseln.
    In meinen Armen explodierte kühle Hitze. Sie schoss mir in die Brust, als hätte ich soeben das stärkste Pfefferminzbonbon meines Lebens verschluckt.
    Ich öffnete die Augen. Ich hörte Vögel flattern und noch immer pulsierte der

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