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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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das gleiche Grinsen auf dem Gesicht haben und es genießen würde, wie ich mich wand.
    Ich nahm mir vor, bis zehn zu zählen, bis ich mich zusammengerissen hatte. Ich kam bis fünfundsiebzig, bis ich wieder etwas sagte.
    »Also …« Ich schlang die Hände um mein Glas und nahm einen Schluck. Es war leer. Ich riskierte einen Blick auf ihn. Er bebte ein wenig, weil er ein Lachen unterdrückte.
    »Also …?«, ermunterte er mich.
    »Ich habe mich nur gefragt. Ich meine, ich bin nicht direkt religiös … aber hast du je … Kennst du …?«
    »Gott?«, sprang er ein.
    »Ja.« Ich hätte nie gedacht, dass ich je auf Gott zurückgreifen würde, um das Thema zu wechseln.
    Claudia brachte die Pizzen. Ich aß schnell und nahm die einzelnen Stücke in die Hand. Phoenix aß langsam und ich spürte, wie er mich eingehend musterte. Eigentlich hätte mich das stören sollen, aber seltsamerweise begann ich mich in seiner Gegenwart immer wohler zu fühlen. Zum ersten Mal heute Abend merkte ich, dass ich körperlich entspannt auf meinem Stuhl saß.
    Er lachte ein wenig, als wüsste er, was ich gerade gedacht hatte, dann griff er die Unterhaltung wieder auf. »Es ist nicht so wie in den Märchen der Menschen, Violet. In mancherlei Hinsicht ist es sogar schwieriger für uns, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, als für Menschen.« Wieder schien er ganz woanders zu sein. Wenn er seine Fassade fallen ließ, war leichter zu erkennen, dass er aus einer anderen Welt kam, man sah die Tiefe seiner Augen, die Stille in seinen Gesichtszügen.
    Er merkte, dass ich ihn musterte, und sein Tonfall wurde leichter. »Die Existenz eines Wesens, das so mächtig ist, dass es Leben und Welten erschaffen kann, muss jedenfalls nicht zwangsläufig anderen Wesen offenbart werden, es sei denn, dieses Wesen entschließt sich dazu.«
    »Und tut es das? Ich meine, weiß jemand mit Sicherheit von seiner Existenz?«, fragte ich.
    »Anscheinend schon.«
    »Wer denn?«
    »Nur Engel, die so bedeutsame Handlungen durchgeführt haben, dass sie nicht ohne das Wissen oder vielleicht sogar die Hilfe einer höheren Macht möglich gewesen wären. Sie werden die Einzigen genannt – die wenigen, die über ihren normalen Rang zu … etwas anderem erhöht wurden. Es gibt nur zwei, von denen ich weiß.«
    »Okay, ich höre.« Was? Brauchte er erst einen Trommelwirbel?
    »Michael, das Schwert – und sein Gegenstück, Luzifer, der Stern.«
    Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. »Wie … der Teufel … Luzifer?« Ich redete leise, weil ich Angst hatte, an den Nachbartischen gehört zu werden.
    »Wenn es so einfacher für dich ist«, sagte er und schüttelte leicht den Kopf.
    »Es gibt also eine Hölle?«
    »Nein … und ja. Nette Sichtweise, die die Menschen da von Gut und Böse haben. Wenn sie richtig wäre, wäre alles einfacher. Wenn es jedoch so einfach wäre, wenn man alles entweder in die eine oder in die andere Schublade stecken könnte – Himmel oder Hölle –, würde das bedeuten, dass Engel des Himmels nichts Böses und Engel der Hölle nichts Gutes tun könnten. Dadurch hätten Engel praktisch keinen freien Willen – und das ist nicht der Fall. Im Engelreich gibt es gleichermaßen Engel des Lichts und Engel der Finsternis. Auf jeden Engel, der eine Brücke baut, über die man gehen kann, kommt ein anderer Engel, der jemanden in unruhige Gewässer lockt. Wenn das nicht so wäre, wäre kein freier Wille möglich.«
    »Aber ich dachte, das Böse würde erst existieren, seit Luzifer vom Himmel gefallen ist.« Ich war keine Expertin, aber ich war gezwungen gewesen, mir ein Jahrzehnt lang Religionsunterricht in der Schule anzuhören.
    »Ich wette, du dachtest auch, Engel hätten Flügel.« Er zog ein wenig die Augenbrauen hoch.
    Ich schürzte die Lippen in dem vergeblichen Versuch, mich zu verteidigen, aber natürlich durchschaute er mich.
    »Ich kann nicht alles erklären. Das ist nichts, was man über einer einzigen Pizza zusammenfassen kann. Glaub mir, das Böse hat es schon immer gegeben. Allein die Schöpfungsgeschichte, wie sie die Menschen erzählen, schon die erste Zeile verrät alles.« Er verlieh seiner Stimme einen offiziellen Klang. »Es werde Licht, bla bla bla … Aber denk doch mal weiter – warum hätte man Licht benötigen sollen, wenn da nicht zuvor Dunkelheit gewesen wäre?«
    Ich weiß nicht warum, aber ich wurde traurig, während Phoenix redete. Ich wusste nicht, woher das kam – es war, als würde seine Traurigkeit irgendwie auf

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