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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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mich übergehen. Instinktiv fasste ich über den Tisch und legte meine Hand tröstend auf seine. Aber als wir uns berührten, wäre ich fast von meinem Stuhl aufgesprungen. Apfel. Ich hatte die Sinneswahrnehmungen vergessen. Funken stoben zwischen uns und ich reagierte schnell; ich begann, die Hand wegzuziehen, aber er packte sie, bevor es mir gelang. Vogelflügel fingen an zu flattern, als wäre ein ganzer Schwarm in meinem Kopf. Ich zog an meiner Hand, um sie aus seinem Griff zu befreien, aber er zog sie einfach zurück. Ich warf ihm einen tödlichen Blick zu. Das war kein Spiel. Aber als sich unsere Blicke trafen und fixierten, wusch eine Welle der Ruhe über meinen Körper, als würde man mich an einem sonnigen Tag mit einem Eimer kalten Wassers übergießen. Ein paar Sekunden später waren die Sinneswahrnehmungen verflogen und ich hielt einfach nur seine Hand.
    Ich biss mir auf die Lippe. Phoenix’ Mundwinkel kräuselten sich und er drückte kurz meine Hand, bevor er sie losließ.
    Zum ersten Mal, seit all das passiert war, wollte ich mehr wissen. Zu wissen, dass er all dies durchlebt, erfahren hatte, was auch immer … war verwirrend.
    »Wirst du mir mehr erzählen?«, fragte ich, während ich zuschaute, wie er pflichtschuldig die Rechnung bezahlte. Kurz fragte ich mich, woher er sein Geld nahm, und beschloss dann, dass ich es gar nicht so genau wissen wollte.
    Er nickte. »Morgen. Wenn ich dich mit in die neue Ausstellung im Museum für zeitgenössische Kunst nehme.«
    Meine Augen wurden schmal. »Du hast dir mein Tagebuch angeschaut«, warf ich ihm vor.
    »Dein kleines Notizbuch? Nein.«
    »Woher weißt du dann, dass ich mich für Kunst interessiere?«
    »Ich weiß es eben.« Er lächelte und lenkte seinen Blick hinunter auf meine Hände.
    Ich lachte. Auf den Nagelhäuten meiner Fingernägel befand sich noch immer gelbe und orange Farbe.
    Bevor wir aufbrachen, schaute ich mich noch nach Claudia um. Sie war nirgends zu sehen.

KAPITEL FÜNFZEHN
    »Wenn es also Engel gibt, lasst uns klar und nüchtern bleiben wie in der Anwesenheit von Tutoren; denn es gibt auch einen Dämon unter uns.«
    HL. JOHANNES CHRYSOSTOMOS
     
    P hoenix bestand darauf, mich nach Hause zu begleiten, trotz meiner halbherzigen Beteuerungen, dass es mir gut ginge. Wir traten aus der Pizzeria hinaus auf eine inzwischen ruhige Straße. Die Stille wurde rasch unangenehm.
    Sobald wir die Gasse hinter dem Restaurant erreichten, nahm ich es wahr. Das strenge, saure Aroma grüner Äpfel. Es erinnerte mich an das Gefühl, wenn man in eines dieser mit Flüssigkeit gefüllten Kaubonbons biss. Die hasste ich auch.
    Phoenix erstarrte neben mir.
    »Das bist nicht du, oder?«, flüsterte ich mit klopfendem Herzen.
    Er antwortete nicht. Das brauchte er auch nicht.
    »Phoenix?«
    Er wirbelte zu mir herum und legte mir die Hände auf die Schulter. »Bleib hier.« Er schüttelte mich. »Ich bin gleich zurück. BLEIB HIER! «
    Ich nickte. Er wandte sich um und ging in die Gasse, wobei er eine Wolke White Musk hinterließ. Straßenlichter gab es keine. Es war eine dieser schmalen kleinen Straßen, die nicht breit genug für ein Auto waren. Auf der einen Seite stand eine Reihe Mülltonnen, daneben stapelten sich hier und da Tüten, aus denen Müll und Essensreste aus dem Restaurant quollen. Nach ein paar Schritten verschluckte die Dunkelheit Phoenix’ Silhouette.
    Es war heiß, schwül sogar, aber trotzdem schlang ich die Arme um mich, weil ich einen Kälteschauer spürte.
    Ich strengte meine Augen an, konnte aber nichts sehen. Dann hörte ich über dem Schlagen von Flügeln den erstickten Schrei eines Mädchens. Der nächste Schrei war nicht erstickt. Er ertönte laut und klar. Ein Schrei, der absolute Verzweiflung ausdrückte. Meine Füße trugen mich in die Dunkelheit hinein, bevor ich mir dessen überhaupt bewusst war.
    Phoenix stand vor jemandem, den ich auf der Stelle ebenfalls als Verbannten identifizierte. Er war groß und schmal, hatte aber breite Schultern. Er war ganz in Schwarz gekleidet und hatte leuchtendes, weißblondes Haar. Er hatte ein Mädchen in seiner Gewalt, er hatte ihr den Arm um den Hals gelegt und hielt sie fest. Sie trat um sich und versuchte, sich loszureißen. Mein Blick blieb an ihrem hellroten Haar hängen. Dann registrierte ich ihre Kellnerkluft. Die Bluse war zerrissen; der schwarze Rock war zwar noch an Ort und Stelle, aber es war klar, dass das nicht mehr lange so sein würde. Ihr goldenes Namensschildchen blinkte mir im

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