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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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geklappt.« Ohne dass ich es vorgehabt hatte, war mein Tonfall sanfter geworden. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war ich seltsamerweise froh zu wissen, dass er da war. »Also … wie ist es? Wenn man ein Engel ist?«, fragte ich.
    »Ha! Welch offensichtliche Frage. Ich hatte auf etwas Originelleres gehofft.«
    »Okay. Was hast du als Erstes gemacht, als du ein Mensch geworden bist?«
    Er lachte. »Hmm, viel besser.« Anzüglich hob er die Augenbrauen. Plötzlich stieg mir glühende Hitze ins Gesicht und ich war mir sicher, die ganz, ganz falsche Frage gestellt zu haben.
    »Schon okay. Ich kann es mir vorstellen«, sagte ich rasch. »Wie wäre es damit: Warum hast du euer Reich verlassen? Ich meine, du hast dich selbst dazu entschlossen, nicht wahr?«
    Er schaute an mir vorbei zur Wand. »Mehr oder weniger.«
    »Warum?«, hakte ich nach.
    »Stell dir vor, du wärst in eine Kultur hineingeboren, in der es arrangierte Ehen gibt. Und Scheidung wäre definitiv nicht erlaubt. Den Betreuer für die Menschheit zu spielen, kann …« Er verstummte. Wo immer er gerade war, hier war er nicht. Und da waren eine Menge Dinge, die er nicht sagte.
    »Vermisst du deine Freunde? Hattest du Freunde? Ich meine …«
    Er stieß ein leises Lachen aus. »Es gibt Seelen, deren Anwesenheit man genießt, aber es ist nicht wie hier. Engel haben keine körperliche Form. Menschliches Fleisch wird als niedrigere Daseinsform betrachtet, als ein Gefäß mit so vielen Schwächen.«
    Er sah meinen verwirrten Blick und führte es näher aus. »Ein Gefängnis aus Fleisch; ein Herz, das auf Lungen angewiesen ist, die wiederum darauf angewiesen sind, dass ständig Sauerstoff verfügbar ist. Ein Intellekt, der auf Sinne des Fleisches angewiesen ist, um mit Wissen gefüttert zu werden. Das ist der Grund, warum sich die meisten unserer Kräfte auch dann noch, wenn wir menschliche Form annehmen, auf Nichtgreifbares beziehen – Vorstellungskraft, Erinnerung … Leidenschaften.«
    »Leidenschaften?«
    »Gefühle – Liebe, Hass, Verlangen, Angst, Hoffnung, Verzweiflung – die Dinge, die Menschen zu äußerster Glückseligkeit oder in den endgültigen Untergang führen.« Seine Worte klangen bedauernd und es steckte auch etwas Sehnsüchtiges in ihnen.
    »Wenn wir also so schwach sind und Engel so mächtig – warum sollte man dann Menschengestalt annehmen?« Jemand musste sich schließlich für uns einfache Menschen einsetzen.
    »Genau das, was dich überwältigt«, sagte er und öffnete die Hand zu dem überfüllten Raum mit den essenden Menschen hin.
    »Hilf mir auf die Sprünge.«
    Er ließ den Wein in seinem Glas kreisen, sodass er einen dicken Film an der Innenseite bildete, der langsam zurück in den blutroten Teich floss. Er neigte das Glas in meine Richtung. »Das. Zum einen. Unser Wissen ist unermesslich, unsere Macht ist unvergleichlich. Dennoch konnte ich nur wissen , wonach Wein schmeckt – ich konnte nicht daran nippen oder ihn auf der Zunge rollen lassen. Ich wusste , dass Zitronen sauer sind, aber ich konnte nicht darüber zusammenzucken. Es wurde unerträglich, die Kraft der Sonne zu sehen und zu beobachten, wie sie eine Wüste trocken schliff, einen Wald kahl brannte, und dennoch nicht einmal zu spüren, wie sie meine Haut wärmte. Darum warnen dich deine Sinne davor, dass wir in der Nähe sind. Diese Sinne machen die Stärke aus, die die Menschen auszeichnet – und ihre Schwäche.«
    Als wäre ein Schalter umgelegt worden, kehrte er zu seinem vertrauten, verführerischen Tonfall zurück. »Es gibt ein paar Gefühle, ein paar Berührungen, ein paar Empfindungen …« Er atmete tief ein und aus, zögerte, und ich war mir sicher, dass er es meinetwegen tat. » Fleisch gegen Fleisch . Kein Wissen, egal wie umfassend es ist, kann diese Berührungen verstehen. Nur Menschen.« Er blinzelte kein einziges Mal.
    Seine Augen, oh mein Gott! Er hatte zwar nichts gesagt, was nicht jugendfrei gewesen wäre, aber das machte nichts, es klang trotzdem ziemlich … anzüglich. Mein Herz jagte und ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Wie konnte er im einen Augenblick noch so aufrichtig sein und im nächsten ein Feuerwerk aus sexuellen Anspielungen zünden? Wie kam ich von Ich werde ihm alle Fragen stellen auf Schnell, Wasser her, ich verbrenne!?
    Ich heftete meinen Blick auf die Küchentür, die auf und zu schwang. Ich zwang mich, ihn nicht anzuschauen, ihm nicht in die Augen zu schauen. Das brauchte ich nicht – ich wusste auch so, dass er wieder

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