Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
Vom Netzwerk:
ich schon sagte. Nicht so schlimm.« Er hielt mit der Hand die Tür auf und folgte mir dann hinein.
    Der Glatzkopf schüttelte Phoenix die Hand und sagte uns, dass wir eine Stunde Zeit hätten, bis die nächste Schicht kam. Dann ließ er uns allein.
    »Wow. Das ist erstaunlich. Wer war das?«
    »Jemand, der mir noch einen Gefallen schuldete«, sagte Phoenix, und ich wusste, dass er mir nicht mehr darüber erzählen würde. Eigentlich brauchte ich es auch nicht zu wissen, wo doch noch so viele andere drängende Fragen offen waren.
    Die Ausstellung war faszinierend. Einige Werke waren noch in Kisten verpackt und warteten darauf, aufgehängt zu werden, aber die meisten davon bekamen wir zu sehen.
    »Du interessierst dich also für zeitgenössische Kunst?«, fragte ich, als wir durch die Abteilung für abstrakte Skulpturen gingen.
    »Ehrlich gesagt mag ich Renaissancekunst lieber.« Er wartete auf meine Reaktion. »Aber ich wusste, dass es dir gefallen würde. Sicher warst du mit deinem Grigori-Freund schon in einer Million Ausstellungen, aber ich wusste, die Chancen standen gut, dass du diese Werke noch nicht gesehen hast.«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln, antwortete aber nicht. Es war mir zu peinlich zuzugeben, dass ich mit Lincoln nie eine Ausstellung besucht hatte. Eigentlich war ich mit Lincoln gar nirgends gewesen. Wir hatten immer nur trainiert.
    »Bin ich jetzt dran?«, fragte er, als wir weiter durch die überdimensionierten Säle gingen.
    »Womit?«, fragte ich. Auf einmal war ich nervös.
    »Mit Fragen stellen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Wahrscheinlich.«
    Er krempelte sich beide Ärmel hoch. Er war so lässig, so normal in seinen Bewegungen, doch sahen sie alle so präzise aus. Ich fragte mich, wie viel Übung es wohl bedurft hatte, wie es wohl war, sich von einem Engel in einen Menschen zu verwandeln. Fühlte er sich jetzt eher wie ein Engel oder eher wie ein Mensch?
    »Warum hast du solche Angst davor, außergewöhnlich zu sein?«
    Instinktiv senkte ich den Blick. Ausgerechnet diese Frage. Ich spürte, wie mir die Tränen kamen, und bemühte mich verzweifelt, sie zurückzuhalten und mich unter Kontrolle zu bringen. Ich versuchte, mich auf andere Dinge zu konzentrieren: die Skulptur eines verdrehten Fahrrads, das raffinierte Gesims, die Füllmaterialstücke, die auf dem Boden verstreut waren.
    »Ich habe keine Angst, ich will nur nicht … herausgepickt und zur Schau gestellt werden.«
    »Und du glaubst, dass du in diese Situation gerätst, wenn du ein Grigori bist?«
    »Ich möchte einfach mein Leben leben. Das, an dem ich die letzten siebzehn Jahre gearbeitet habe. Ich habe Pläne, Pläne, die mir gefallen, und er … sie hatten kein Recht dazu …«Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte ihm nicht sagen, wie sehr es mich schmerzte, dass Lincoln mich angelogen hatte. So getan hatte, als wäre er ein Freund. Meine Zukunft gekannt und mir nichts davon erzählt hatte. Ich fügte auch nicht hinzu, dass ich jetzt auch meine Mutter in die »sie-hatten-kein-Recht-dazu«-Kategorie einordnete.
    »Er? Lincoln, dein Grigori?« Phoenix ließ nicht locker.
    »Er ist nicht … mein Grigori.«
    »Gut zu wissen«, sagte er, als er zur nächsten Skulptur ging; eine nackte Frau in Flammen.
    Ich hätte ihm am liebsten eine gescheuert. Stattdessen sprach ich ein Machtwort. »Ich möchte nicht über ihn reden.«
    Phoenix ließ sich Zeit, die brennende Frau zu betrachten, bevor er antwortete. »Hör mal, Violet, die Sache ist doch die. Grigori sind normalerweise nicht … mit Verbannten befreundet . In gewisser Weise sind wir natürliche Feinde … Nichtsdestotrotz – und das sage ich dir als dein Freund – musst du aufhören, dich zu benehmen wie ein liebeskrankes Kind. Ob es dir gefällt oder nicht, du bist jetzt in dieser Welt, und Verbannte sind sehr gut darin, die Macht anderer Verbannter und die der Grigori wahrzunehmen.«
    »Und du kannst mich wahrnehmen«, sagte ich und beschloss, über seine anderen Kommentare erhaben zu sein. Zunächst.
    »Ein Teil von dir muss in der Lage sein, zu spüren, wie mächtig du bist.«
    Ich wollte es abstreiten, aber es ging nicht. »Wenn ich dich berühre, bin ich überfordert. Ich kann es nicht kontrollieren.«
    »Ich weiß. Durch dich kann ich auch einen Teil davon spüren.« Er deutete auf eine Holzbank in der Mitte des Raumes.
    Ich erinnerte mich daran, wie die Empfindungen nachgelassen hatten, als er mich in der Pizzeria angeschaut hatte. Irgendwie schienen sie aufzuhören, wenn

Weitere Kostenlose Bücher