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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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war ich schon hier? Wie lange war ich weg?
    »Kann ich helfen?«, sagte der Fremde. Er hatte eigentlich keinen Akzent, betonte aber sorgfältig jedes Wort.
    »Ich … ähm … ich … was?«
    Während ich um Worte rang, waberte ein Nebel aus ihm heraus, ähnlich wie der, der sich über Griffin und Maleachi gesenkt hatte; er driftete langsam zu mir herüber und tauchte mich in eine Farbenpracht. Als die winzigen Partikel meine Haut berührten, verschwanden sie. Die Macht des Fremden – denn darum handelte es sich vermutlich – umgab mich und wurde immer größer. Der logische Teil meines Gehirns forderte: Lauf weg, lauf weg, lauf weg. Natürlich stand ich nur da, ein Paradebeispiel für jemand, der vollkommen durcheinander war. Dann … überkam mich Ruhe, wie ein Fluss, der durch meinen Körper strömte und die Angst auslöschte, die das Ruder übernommen hatte. Mein Herzschlag beruhigte sich, meine Atmung verlangsamte sich, meine Muskeln lockerten sich. Ich atmete aus und genoss diese plötzliche Befreiung.
    »Danke«, sagte ich zögernd. Das würde nicht die flüssigste Unterhaltung meines Lebens werden.
    »Du bist wegen deiner Zusage gekommen?«
    Ich schluckte. »Ja.«
    »Du hast einzigartige Kräfte in dir. Du bist nicht wie die anderen.«
    Seine Augen funkelten vor Neugier. Ich antwortete nicht.
    »Du bist nicht dankbar für deine Gabe?«
    Die Art, wie er das sagte, machte mich ärgerlich. Er hatte mich vielleicht beruhigt, aber das währte offensichtlich nicht ewig. »Ich hatte schon was vor mit meinem Leben und dazu gehörte nicht, mich mit Engeln herumzuschlagen, die sich ohne offizielle Genehmigung aus dem Engelreich entfernt haben.« Ich warf die Hände nach oben. »Aber hier bin ich.«
    Er trat vor, hielt aber einen Höflichkeitsabstand ein. Die Sonne brannte unbarmherzig und meine Haut glühte, als er mich betrachtete.
    »Vielleicht hat er dich deshalb ausgewählt. Ich heiße Uri. Ich bin ein auserkorener Engel – ich glaube, ihr bezeichnet mich als Engel des Lichts.« Er streckte mir die Hand hin. Ich zögerte.
    »Es ist nicht gefährlich«, beruhigte er mich.
    Ich gab ihm die Hand. Anders als meine schmutzige, schwielige Hand war seine weich und zart. Ich spürte die Sinneswahrnehmungen um mich herumsummen, aber es war, als wären sie gedämpft worden.
    Er ließ meine Hand los und trat zurück, makellos nahm er seine vorherige Haltung wieder ein. Sand glitt über seine Füße wie Wasserwellen. »Du hast also einen Grund gefunden, der zu deiner Wahl passt.«
    »Hatte ich je wirklich die Wahl?«, fragte ich und dachte darüber nach, wie alles immer wieder auf diese Frage hinauslief, vielleicht auf diesen Moment.
    »Natürlich. Du hast entschieden, wie, warum, wann … in gewissem Maße sogar wo .«
    »Wie steht es mit ob ? Hatte ich etwas zu melden, als es darum ging, ob überhaupt?«
    Er neigte den Kopf, als wäre er etwas beeindruckt von meiner Frage. »Es gibt ein Element unserer Existenz, das vorherbestimmt ist«, räumte er ein. »Es ist nicht so, dass du kein Mitspracherecht bekommen hättest, vielmehr verweigert dir das Fundament deines ganzen Daseins um jeden Preis die Kraft, dein Schicksal abzulehnen. Es ging einfach nur darum, dich vor die richtige Frage zu stellen, so dass du, im Gegenzug, die richtige Wahl treffen konntest.«
    »Und wenn nicht? Wenn ich Lincoln hätte sterben lassen?«
    »Ich kann dir nicht sagen, was nicht möglich ist.« Er neigte den Kopf zur Sonne, schaute direkt in ihren Schein und seine Augen blieben offen und unbeeinflusst.
    »Ich verstehe nicht.«
    »Das geht über dein Verständnis hinaus. Du solltest es nicht versuchen.«
    »Ich will es aber wissen!«
    Er wandte sich mir wieder zu, wobei er ein gewisses Interesse an meinem bissigen Tonfall zeigte. Es hielt etwa drei Sekunden an.
    »Dein Schicksal wurde dir zum Zeitpunkt deiner Geburt vorgegeben. Hätte sich dieses Schicksal geändert, würde es eines bedeutenden Ereignisses bedürfen, das nicht auf deinem Weg lag und nicht dein eigenes Werk war. Ein solches Ereignis hast du nur ein einziges Mal erlebt, und obwohl es eine leichte Veränderung in der Struktur deiner wahren Natur verursachte, wurde verhindert, dass irreparabler Schaden entstanden ist.«
    Seine Miene veränderte sich nicht und gab auch keine weiteren Informationen preis. Wenn überhaupt, so schienen seine Augen immer weniger fokussiert zu sein.
    »Jemand hat eingegriffen«, sagte ich und benutzte die Worte, die Lincoln verwendet hatte, als ich ihm zum

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