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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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ich schon hier? Werde ich hier draußen sterben? Und dann folgten noch einige weniger nahe liegende. Wird mich irgendjemand wirklich vermissen? Werde ich die Sache mit Lincoln in Ordnung bringen, bevor einer von uns stirbt? Ist dies das Werk der Engel des Lichts oder der Engel der Finsternis?
    Immer mehr Fragen stellten sich mir, als ich durch die endlose Wüste stolperte. Der Sand war tief und weich und die Landschaft blieb unverändert. Selbst nachdem ich stundenlang gelaufen war, kam es mir vor, als sei ich immer noch an derselben Stelle.
    Die Fragen, die mir in den Sinn kamen, wurden einfacher. Wo habe ich die Wasserflasche gelassen? Hat jemand meine Wasserflasche gesehen? Ist das … Blut?
    Letzteres riss mich so abrupt aus meinem Delirium, dass ich an meinen Mund fasste; ich spürte etwas Nasses, das mir aus der Nase lief und sich mit den Sandkörnern vermischte, die auf meinem Gesicht klebten. Dehydrierung und Erschöpfung übernahmen nun das Kommando. Ich ließ etwas Blut in meinen Mund tropfen, um meine Zunge anzufeuchten, so verzweifelt versuchte ich, der Trockenheit zu entkommen. Zur Strafe musste ich würgen. Vielleicht ging es hier im Grunde ja darum … um Bestrafung.
    Ich überprüfte wieder mein Handy, obwohl ich wusste, dass nichts auf dem Display zu sehen sein würde, weil der Akku leer war. Als ich meine Hand aus der Tasche zog, flatterte ein Stück Papier zu Boden. Ich bückte mich, um es aufzuheben, und fiel dabei auf die Knie. Ich versuchte nicht, wieder aufzustehen.
    Es war das Gedicht, das mir meine Mutter hinterlassen hatte. Ich warf einen Blick darauf und versuchte trotz meiner verschwommenen Sicht die Wörter zu erkennen. Ich schaffte die ersten vier Zeilen.
    Liebe das Nichts,
Fliehe vor etwas,
Bleibe allein
Und gehe zu niemandem.
    Ich saß da und blinzelte, um meine Augen nicht ganz austrocknen zu lassen. Ich hatte diesen Weg eingeschlagen, zur Leere, zum Nichts; ich war vor mir selbst geflohen und vor denen, die mich liebten; und ich war vollkommen allein. Ich dachte daran zurück, wie ich mich weder Steph noch Dad hatte anvertrauen können. Etwas machte Klick. Ich blinzelte wieder und konzentrierte mich erneut auf das Gedicht.
    Handle beherzt
Und mach dich frei von allem.
Übergib die Gefangenen
Und bezwinge die, die frei sind.
    Wenn man es wortwörtlich nahm, hatte ich höllisch beherzt gehandelt und mich selbst als Gefangene meinem freien Willen ausgeliefert. Vielleicht bedeutete, diejenigen zu bezwingen, die frei waren, dass man Verbannte zu ihrer Verurteilung zurückschicken und den freien Willen schützen sollte. Ich versuchte zu schlucken, aber mein Mund war zu trocken. Hatte mir meine Mutter deshalb das Gedicht hinterlassen? Wollte sie mir helfen, einen Weg hier heraus zu finden? Bitte, bitte, bitte! Jeder heiße Atemzug, den ich inhalierte, versengte mir die Kehle, röstete sie von innen. Die nächsten Zeilen konnte ich kaum noch lesen.
    Tröste die Kranken,
Aber für dich besitze nichts.
    Lincolns Verletzungen und mein Sprung in den sicheren Tod deckte das so ziemlich ab.
    Trinke das Wasser des Leidens
Und entzünde das Feuer der Liebe mit dem Holz der
Tugenden,
Dann lebst du in der wahren Wüste.
    Ich verstand genug, um zu wissen, dass ich trinken würde, was immer zu kriegen war, und wenn sie auf Leiden aus waren, dann hatten sie das erreicht. Ich wusste nicht, ob ich in der wahren Wüste war . Und Liebe und Tugenden schienen weit weg.
    Schwankend kam ich wieder auf die Füße, offensichtlich hatte es nichts genutzt, auszuruhen. Ich stolperte weiter, wobei ich alle paar Schritte auf die Knie fiel. Das Ende war nah.
    Ich hob den Kopf und schaute mir das endlose Nichts vor mir an; gleichgültig, was das Leben für mich bereithielt, wollte ich es lieber als das hier.
    Aus den Spiegelbildern des Sands erhob sich ein prachtvoller, wilder Löwe. Er tapste leichtfüßig über den Sand, wobei er eine kleine Windböe hinter sich herzog. Das war kein gutes Zeichen. Ich halluzinierte.
    Fasziniert sah ich zu, wie der Löwe ruhig einen etwa zehn Meter großen Kreis beschrieb. Als er wieder an die Stelle zurückkam, von der er losgegangen war, trottete er ins Zentrum des Kreises, blieb stehen und wandte sich zu mir um. Goldenes Feuer loderte in seinen schimmernden Augen, die er nun fest auf meine richtete. Ich fragte mich, ob ich mich fürchten sollte, aber dann erinnerte ich mich daran, dass er eine Halluzination war. Deshalb blieb ich stehen und starrte in die strahlenden Augen

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