Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
hatte die Entscheidung für ihn getroffen. Die sicherste Entscheidung. Die einzige, mit der sie ihr Leben nicht jedes Mal in Gefahr brachte, wenn sie in seine Nähe kam.
Er setzte sich auf die Bettkante, nackt und wie beraubt. Die Morgendämmerung kam und sandte blassrosa Lichtstrahlen durch das dichte Tannengeäst. Er sah ihnen einen Augenblick zu und fand nicht die Kraft, die Läden zu schließen. Das erledigte das elektronische Sicherheitssystem des Hauses für ihn, die automatischen Stahljalousien schlossen sich fest und sperrten den Morgen aus.
Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte. Als hinter ihm ein lautes Klopfen an der Tür ertönte, kam seine Stimme heiser aus seiner ausgedörrten Kehle. »Ja.«
»Harvard.« Dante sprach durch die grob gezimmerte Holztür. »Kann ich reinkommen, seid ihr angezogen, Alter?«
Chase knurrte leise. »Sie ist weg«, murmelte er.
Die Tür öffnete sich, und Dante trat ein. »Ist ja arschkalt bei euch. Was soll das heißen, sie ist weg?«
Chase blickte sich zu seinem alten Freund um, der jetzt verwirrt die Stirn runzelte, und sah ihn mit seinen glühenden Augen an. Der Krieger hob das Kinn. »Ach du Scheiße. Du hast doch nicht – «
»Ich habe von ihr getrunken«, gab Chase zu. »Ich habe … die Kontrolle verloren. Ich habe ihr ziemliche Angst gemacht, ich habe ihr wehgetan, und jetzt ist sie fort.«
Dante starrte ihn lange musternd an. »Diese Frau bedeutet dir etwas.«
»Ich liebe sie. Das sollte Grund genug sein, sie gehen zu lassen, oder?« Langsam schüttelte er den Kopf, dachte daran, wie viel besser sie ohne ihn dran wäre. »Ich bin das Letzte, was sie in ihrem Leben braucht.«
»Ist wohl so«, antwortete Dante ernst, ohne Gnade in seiner Stimme oder den ernsten Augen. »In diesem Zustand braucht sie dich nicht in ihrem Leben, mein Freund. Niemand, dem etwas an dir liegt, will hier sein und dir beim endgültigen Absturz zuschauen, sie am allerwenigsten. Und das sage ich nicht, um dir eine reinzuwürgen. Ich sehe ja, dass du versuchst, dich in den Griff zu kriegen.«
»Ja«, stimmte Chase zu. »Das muss ich. Ich will ihr beweisen, dass ich meine Sucht besiegen kann.«
Dante schüttelte den Kopf. »Nein, Mann. Zuerst musst du es dir selbst beweisen wollen.«
35
Die Morgendämmerung war kalt, und Tavias Atem bildete eine Wolke, als sie auf der Schwelle des kleinen Hauses stand, das sie bis vor etwa einer Woche noch ihr Zuhause genannt hatte. Die Haustür, an der immer noch der weihnachtliche Kranz mit roten Schleifen und Schlittenglocken hing, war mit dem gelben Absperrband der Polizei versiegelt. Die Glöckchen klingelten, als sie das Band zerriss und ins Haus trat.
Drinnen war es still wie in einer Gruft. Eine leere Hülle, die sich jetzt so leer und fremd anfühlte wie das Leben, das sie hier verbracht hatte.
Ein Leben, das eine einzige Lüge gewesen war.
Langsam ging Tavia durch das Haus und fühlte sich seltsam abgeklärt. Nichts hier gehörte ihr. Nicht die schlichten Möbel oder die fröhliche Dekoration, nicht einmal die Fotos an den Wänden – Collagen von Schnappschüssen aus einer anderen Zeit, eine zerstreute Chronik ihrer Kinder- und Teenagerjahre. Ein Leben, das sorgfältig überwacht und manipuliert, aus zahllosen Lügen und Verrat konstruiert worden war.
Diese Erinnerungsstücke an ihre Vergangenheit waren einst so real für sie gewesen. Bis vor einer Woche war ihr Leben so normal gewesen. Die meiste Zeit war sie glücklich gewesen, hatte ihr Leben zu Hause und ihren Job genossen, hatte akzeptiert, dass die Welt, in der sie lebte, diejenige war, in die sie gehörte. Wie war es möglich, dass das alles so lange ihre Realität gewesen war und doch nichts als eine einzige Lüge?
Es war nicht mehr wichtig.
Jetzt ließ sie das alles los.
Sie empfand keine Bitterkeit, als sie sich umsah, nichts als ruhige Akzeptanz, als sie den Blick über die Küche schweifen ließ. Auf dem cremefarbenen Fußboden war immer noch der entsetzliche braune Blutfleck, wo die Lakaiin, die sich als ihre Tante ausgegeben hatte, sich auf Dragos’ Befehl das Leben genommen hatte.
Erst jetzt dachte sie an ihn – Dragos, der Schurke, der mit seinen gewissenlosen Machenschaften so viele Morde begangen und Leben zerstört hatte, und Tavia spürte, wie Wut in ihr aufflammte, Wut darüber, was er ihr und den anderen wie ihr angetan hatte, was er dem Orden angetan hatte, über die Untaten, die er auch jetzt noch beging, und sie hoffte, dass sein Ende nicht
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