Erwählte der Ewigkeit (German Edition)
Rückzug. »Du vertraust mir nicht.«
»Stimmt genau.«
»Das ist vermutlich klug, in Anbetracht dessen, was hier fast passiert wäre.«
Fast? Ihr machte schon genug Sorgen, was passiert war .
Tavia ging einen Schritt zurück, nicht so sehr aus Angst vor ihm als aus Wut. Sie sammelte sich in ihrem Bauch, vermischte sich mit den Resten dieser neuen Kraft, die immer noch durch ihre Adern schoss. »Ich traue dir nicht, wegen allem, was du getan hast. Wegen allem, was ich hier gesehen habe. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich mir noch selbst trauen kann. Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn für mich.«
»Doch, tut es«, sagte er ruhig. »Du willst es nur nicht sehen.«
»Halt die Klappe.« Sie schüttelte heftig den Kopf, Wut und Angst schnürten ihr die Kehle zu. »Ich will nichts mehr hören. Ich will jetzt einfach bloß hier raus, verdammt.«
»Das geht leider nicht, Tavia.«
Als er wieder Anstalten machte, nach ihr zu greifen, explodierte etwas in ihr. Es waren ihre Wut und ihre Panik, die jetzt in einem körperlichen Reflex aus ihr herausbrachen. Bevor sie darüber nachdenken konnte – bevor sie auch nur registrierte, dass sie den Arm bewegt hatte – , stieß sie ihn mit aller Kraft von sich. Er flog nach hinten wie von einer Leine zurückgerissen, aber schon in der nächsten Sekunde hatte er sein Gleichgewicht wiedergefunden.
Im nächsten Augenblick stand er wieder direkt vor ihr, überragte sie mit bebenden Nasenflügeln und blitzenden Augen. »Verdammt, ich will dir doch nichts tun.«
Sie wagte nicht, ihm zu glauben. Genauso wenig wartete sie ab, um herauszufinden, ob sie ihm glauben konnte. Im selben Moment, als sie seine Finger auf ihrem Arm spürte, riss sie den anderen Arm zurück, schwang die Faust und traf ihn mit einem bösen Knackenunten am Kiefer.
Zu ihrer absoluten Verblüffung ging er zu Boden. Sein wilder Fluch, als er sich schwankend auf die Knie erhob, brachte die zerbrochene Scheibe des notdürftig verbarrikadierten Fensters hinter ihnen zum Erbeben.
Tavia wartete nicht auf die nächste Runde mit ihm. Während er noch versuchte, den Schlag abzuschütteln, ging sie um ihn herum. Sie rannte aus dem Schlafzimmer und durch die große Villa, über das Foyer mit dem Marmorfußboden und zur Eingangstür hinaus in den dichten Morgenverkehr des Wohnviertels Back Bay.
Sie hörte, wie er ihr etwas nachbrüllte, wagte aber nur einen flüchtigen Blick in seine Richtung, als ihre Füße über den verschneiten Gehsteig flogen.
Er stand in der offenen Eingangstür und schirmte sich mit dem Arm die Augen ab.
Er folgte ihr nicht, sondern beobachtete aus dem Inneren des abgedunkelten Hauses, wie sie auf die Fahrbahn lief und hektisch einem vorbeifahrenden Taxi winkte. Der gelbe Wagen blieb stehen, sie stieg ein und gab dem Fahrer atemlos ihre Adresse.
Das Taxi fuhr an, fädelte sich wieder in den Verkehr ein und rülpste eine große Abgaswolke, hinter der die Villa und der Mann, den Tavia nie wiedersehen wollte, wie hinter einem Schleier verschwanden.
16
Senator Bobby Clarence war offenbar ein guter Katholik, aber ein sogar noch besserer Politiker gewesen. Die Kirchengemeinde, der er aus strategischen Gründen beigetreten war, sobald er damals als angehender Jura-Erstsemester aus dem Überlandbus aus Bangor gestiegen war, war die größte und angesehenste in Boston. Vor etwa fünfzig Jahren hatte dieselbe Kirchengemeinde die Ermordung eines ihrer Mitglieder, eines viel geliebten Präsidenten der Menschen betrauert, und Dragos schätzte, dass das eine Rolle bei der Entscheidung des ehrgeizigen jungen Clarence gespielt hatte, ausgerechnet dieser Gemeinde beizutreten.
Obwohl der ledige Senator keine unmittelbaren Angehörigen hatte, musste die Polizei an diesem kalten Nachmittag draußen vor der Heilig-Kreuz-Kathedrale den Verkehr umleiten, damit die Menschenmenge, die Schlange stand, um einen der zweitausend Sitzplätze bei seinem Trauergottesdienst zu ergattern, Platz hatte. Die Schlange der Trauernden zog sich von den beiden roten Flügeltüren am Eingang zu dem gepflasterten Gehsteig und um das große Eckgrundstück herum, auf dem die massive neugotische Kathedrale stand.
Dragos saß in seiner Limousine, die etwa einen Block weiter unten am Bordstein geparkt war, und wartete ungeduldig auf den Beginn des Gottesdienstes. Es war riskant für ihn, sich tagsüber hinauszuwagen, sogar mit den Schutzvorkehrungen, die er getroffen hatte – UV -dichte Sonnenbrille, ein breitkrempiger Hut aus
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