Erwarte mich in Paris (German Edition)
Langsam trat ich an den Wagen heran und spähte ins Halbdunkel des Innenraumes.
„Entscheide dich schnell. Mein Fahrgast hat nicht ewig Zeit.“
Rasch stieg ich in die Limousine. Der Sitz war weich und ich blickte einen Moment erstaunt umher, betrachtete die Bar mit den unzähligen Flaschen, den Monitor, auf dem irgendein Musikvideo lief und bemerkte erst nach einer Weile, dass mir ein Mann gegenüber saß und mich aus dem Halbdunkel heraus musterte. Verlegen schob ich die Hände unter meine Oberschenkel und sah zu Boden. Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte und wenn ja, was. Ich saß in einer Luxuslimousine und hatte keine Ahnung, was ich hier sollte.
„Guten Abend.“ Die Stimme des Mannes war tief und melodisch.
„ Bonsoir”, antwortete ich instinktiv.
Der Mann lachte leise.
„ Willst du mir einen kleinen Franzosen vorspielen? Das hast du doch gar nicht nötig.”
Er winkte mich näher zu sich heran, während sich seine Lippen lüstern verzogen.
Das Ritual
Erschöpft, aber glücklich fiel ich die nächsten Nächte ins Bett. Ich hatte mittlerweile das Gefühl, so viele Erfahrungen gesammelt zu haben, dass ich Piero bald wieder gegenüber treten konnte. Ich war nicht mehr der dumme Junge, der von nichts eine Ahnung hatte und den er mit ein paar harten Worten abweisen konnte. Ich hatte es den verschiedensten Typen besorgt, und zwar mehr als nur einem am Abend. Das Geld, was sie mir mehr oder weniger freiwillig gegeben hatten, war so wie immer bei Paco gelandet. Ich hatte ihm nichts von meiner weiteren Einnahmequelle erzählt. Das ging ihn nichts an. Ich tat das alles nur aus einem Grund. Und dieser Grund hatte lange Haare und ein süßes Lächeln. Mit diesem Bild vor Augen schlief ich jede Nacht ein.
Doch in dieser Nacht weckte mich das laute Geräusch unserer Wohnwagentür, die geöffnet wurde und gegen die Außenwand schlug. Ich hatte meine Augen noch nicht richtig geöffnet, da packten mich schon Hände und zerrten mich von der Matratze. Mein letzter Blick fiel auf meine Großmutter, die mit schreckensstarrem Gesicht in ihrem Bett saß. Dann wurden mir mit einem Tuch die Augen verbunden, so dass ich mich in absoluter Finsternis befand.
„Was ist los? Was hat er getan?“, schrie mein Vater.
Eine barsche Stimme, die ich nicht erkennen konnte, da sich der Stoff auch über meine Ohren gelegt hatte, schrie: „Das wirst du noch früh genug erfahren. Wir bringen ihn zum Tribunal.“
Jemand drückte mir meine Hose in die Hände, die ich mit fahrigen Bewegungen überzog. Dann wurde ich aus unserem Wagen gestoßen. Blind stolperte ich los, und fiel nur deshalb nicht, weil mich Hände aufrecht hielten und vorwärts zerrten. Meine Großmutter lief hinter mir her, jammernd und lamentierend, während mein Vater beruhigend auf sie einzureden versuchte.
Mein Kopf arbeitete fieberhaft. Was hatte ich mir zu schulden kommen lassen? Ich hatte niemanden etwas getan! Ein Stammestribunal wurde doch nur bei besonders schweren Verstößen einberufen. Und, so weit ich wusste, niemals mitten in der Nacht. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Mit einem Ruck brachte man mich zum Stehen. Während eine Hand auf meine Schulter drückte, stieß mir jemand von hinten in die Kniekehlen, so dass ich nach vorn fiel. Mit den Händen fing ich mich ab. Sie berührten trockenes, warmes Gras. Zwei Feuer knisterten dicht neben mir. Ich spürte ihre Wärme links und rechts auf meinem nackten Oberkörper.
Als ich mich aufrichten wollte, hielten mich die Hände unten. Kniend blieb ich am Boden, lauschte und versuchte herauszufinden, wie viele Menschen sich um mich herum befanden und was das alles überhaupt sollte. Lange musste ich nicht warten.
Würdevoll erhob sich eine Stimme in die Nacht.
„Wir haben den Ältestenrat zusammengerufen, um über den hier anwesenden Nikola Č erve ň ákowi
zu urteilen.“
Ich kannte die Stimme. Sie gehörte Paco.
„Schwere Anschuldigungen werden ihm vorgeworfen und wir werden noch heute zu einem Urteil kommen. Die Strafe wird sofort an Ort und Stelle vollzogen.“
Ich schluckte schwer, als ich das hörte, glaubte aber immer noch, dass es sich nur um ein Versehen handeln konnte.
„Tritt vor und sprich, wegen was der hier anwesende Nikola Č erve ň ákowi
angeklagt wird.“
Eine männliche Stimme erhob sich. „Ich klage Nikola Č erve ň ákowi
, den zukünftigen Ehemann meiner Schwester, an,
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