Erwarte mich in Paris (German Edition)
zu, hob seine Hand und verharrte mit seinem Handrücken über meiner Wange. Ich bebte. Gleich würde er sich zu einer intimen Berührung herablassen. Es wäre das erste Mal. Unwillkürlich atmete ich ein. Der Duft seines Aftershaves überflutete mich, machte mich benommen.
Doch bevor es zu einer Berührung kommen konnte, zog Alain seine Hand zurück.
„Komm, das Taxi wartet.“
Wir hielten vor einem großen, hell angestrahlten Gebäude. Weiße, hohe Säulen, goldene Verzierungen und Figuren gaben ihm ein prachtvolles, majestätisches Aussehen. Wir liefen die breite Treppe hinauf und betraten das Foyer. Alles strahlte in weißem Marmor und Gold. Die lange gewundene Treppe war wie leergefegt. Nirgends waren Opernbesucher zu sehen. Ein riesiger Spiegel zeigte mir Alain, gewohnt weltmännisch und elegant. Neben ihm ein junger Mann in einem glänzenden, dunkelblauen Anzug und schwarzem Hemd mit Stehkragen. Das lockige dunkle Haar umrahmte sein staunendes Gesicht. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich mich selbst in diesem Spiegelbild. Ich konnte dieses gepflegte, kultivierte Äußere noch immer schwer mit meiner Person in Verbindung bringen.
„Monsieur Serafon.“ Ein livrierter Concierge trat auf uns zu. „Wir haben Sie schon erwartet. Würden Sie mir bitte folgen. Die Vorstellung beginnt in wenigen Minuten.“ Er führte uns die Treppe hinauf, an der riesige goldene Kerzenleuchter angebracht waren. Beeindruckt sah ich mich im Laufen um.
„Diese Gebäude ist auf den alten Pariser Katakomben erbaut worden. In dem labyrinthartigen Kellern soll ein Phantom hausen. Ich rate dir, nicht von meiner Seite zu weichen.“ Alain lächelte mir zu. „Das Phantom der Oper liebt Schönheit über alles. Ich wäre untröstlich, wenn ich dich verlieren würde.“
Wir schritten durch menschenleere Gänge, deren Prunk mich atemlos machte. Alains Spazierstock gab ein hartes Klacken von sich, wenn er ihn auf dem kostbaren Boden aufsetzte. Das Geräusch hallte durch die leeren Gänge.
Der Concierge öffnete eine schmale, zweiflüglige Tür. „Es wird gleich beginnen, Monsieur Serafon. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Begleitung viel Spaß.“
Wir traten in eine Loge. Zwei kunstvoll geschnitzte, mit rotem Samt bezogene Stühle befanden sich als einziges Inventar in dem kleinen, nach vorne offenen Raum. Alain setzte sich und stützte sich auf dem silbernen Knauf seines Stockes ab. Ich trat derweil an die Brüstung und sah in den weiten, sich vor uns öffnenden Raum.
Wie versteinert hielt ich den Atem an. Ein großer, goldener Saal erstreckte sich vor mir. Stuhlreihen voller Menschen waren von uns abgewendet, auf einen purpurnen Vorhang ausgerichtet. Ringsum erhoben sich bauchige, goldene Balkone, unserem gleich, die randvoll mit Menschen besetzt waren. Erst jetzt nahm ich das monotone Gemurmel war. Als die Lampen am Kronleuchter gedimmt wurden, verstummte es augenblicklich. Einen Moment herrschte Stille, nur durch einzelnes Räuspern unterbrochen, dann erklang die Musik.
Ähnlich wie aus Alains Stereoanlage zu Hause oder damals bei der ersten Modenschau, die ich für ihn gelaufen war. Doch hier war sie um ein Vielfaches eindrucksvoller, da ich die Quelle der Musik sehen konnte. Unter mit, in einem Graben, direkt vor dem Samtvorhang, sah ich das Orchester. Gemeinsam zauberten die vielen Instrumente diesen beeindruckenden Klangteppich.
Alain zupfte mich am Ärmel. „Setz dich und genieße. Umschauen kannst du dich später noch.“
Von der himmlischen Musik gefangen genommen, setzte ich mich kerzengerade auf die Stuhlkante. Als sich der Vorhang hob, seufzte ich leise auf. Ein strahlendes Bühnenbild überraschte mich und ließ mich gebannt den Auftritt der Sänger beobachten.
Alain beugte sich zu mir herüber und erzählte mir in kurzen Sätzen, dass es in der Oper um die Liebe des Kaisers Nero zu der wunderschönen Poppea ging. Doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Ich verstand die italienische Sprache genügend, um dem Handlungsverlauf und den Intrigen zu folgen. Die hohen, klaren Stimmen der Sänger, die von Liebe und Leidenschaft erzählten, verzauberten mich und trugen mich in eine wunderbare Traumwelt.
Als der Vorhang fiel, wachte ich, wie aus tiefem Schlaf, auf. Alain stand schon an der Tür und winkte mir zu.
„Komm, während der Pause möchte ich dich in die Katakomben entführen.“ Er lächelte leise über seinen kleinen Scherz.
Vor unserer Loge wartete schon der
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