Erwarte mich in Paris (German Edition)
plötzlich in die Sprechrolle Alains schlüpfte, merkte ich gar nicht. Für mich war dieser Fremde mein verstorbener Liebhaber. Wieder lebendig, obwohl ich ihn doch mit eigenen Augen leblos gesehen hatte. Ermordet durch die Hände meines besten Freundes.
„Siehst du deinen Weg?“ Er wies auf das Pflaster, in dem sich matt die Lichter der Straßenlaternen spiegelten. „Geh und mache jemanden glücklich, der am Boden zerstört ist. Geh und werde endlich selber glücklich.“
Ich stand da und starrte auf die unebenen Platten, die wie mein Leben waren – schief, mit Schmutz zwischen den Fugen – dennoch im diffusen Licht der Nacht glänzend.
„An Pieros Händen klebt das Blut von Menschen“, meine Stimme war wie ein Hauch.
„Wir haben alle unsere Fehler.“
„Aber wird Piero mir verzeihen? Und werde ich ihm je wieder vertrauen können?“
„Das musst du allein herausfinden.“
Der warme Nachtwind blies mir ins Gesicht und wirbelte Staub auf. Sandkörnchen verirrten sich in meine Augen. Ich rieb sie unter Tränen heraus.
Als ich mich umblickte, war der Mann verschwunden. Die Uferpromenade lag leer vor mir. Nirgends war ein Zeichen von meinem nächtlichen Gesprächspartner zu sehen. Ich schüttelte benommen den Kopf und machte mich gedankenverloren auf den Heimweg.
Aufbruch
„Was tust du da?“ Christin überrasche mich, als ich gerade mit dem Kopf im Schrank des Wohnmobils steckte.
„Ich packe.“
„Was?“ Ihre Stimme klang schrill.
„Du hast richtig gehört. Ich werde eine Reise unternehmen. Du weißt doch, es steckt mir im Blut. Ich habe schon viel zu lange gewartet.“ Ich klopfte an die Wand des grauen Ungetüms. „Dieses Gefährt ist genau das Richtige für mein Unternehmen.“ Ich stieg aus und trat prüfend gegen einen Reifen.
„Du willst doch nicht etwa allein los?“ Christins Augen wirkten riesig in ihrem kleinen Gesicht. „… nein, du wirst doch nicht etwa mit … mit diesem Piero fahren? Nikola, er hat Alain umgebracht.“
„Das wurde nicht bewiesen.“
„Das ist nur eine Frage der Zeit.“
„Und die werden wir der Polizei nicht geben.“
„Nikola, überleg dir genau, was du tust, du kannst ihm nicht trauen.“
Ich reagierte nicht darauf, sondern öffnete die Motorhaube, um den Ölstand zu prüfen.
„Ihr werdet nicht mal über die Grenze kommen.“
„Für unsereins gibt es keine Grenzen.“ Als ich das sagte, breitete sich plötzlich ein unfassbares Glücksgefühl in mir aus. Es kribbelte mir vom Magen bis unter die Kopfhaut.
„Wie willst du dein Leben bestreiten? Willst du Alains Konto abräumen und mit diesem … diesem Mörder verprassen?“
„Daran habe ich auch schon gedacht.“ Ich wischte mir meine ölverschmierten Hände an der Hose ab. „Aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich möchte, dass du dich um alles kümmerst. Du kennst dich aus, du warst schon immer die gute Seele von Alains Geschäft. Und wegen den Konten … ich habe nicht vor, sie leer zuräumen. Ich werde mir auch so zu helfen wissen.“
„Du willst wieder stehlen?“
Ich zuckte mit der Schulter. „Wir werden sehen. Es gibt viele Möglichkeiten für uns. Wir werden die Richtige finden.“
„Denk doch daran, was du hier aufgibst, was du hier hast. Gestern warst du der heimliche Star auf der Vernissage. Du hättest neue Kontakte knüpfen können. Alle wollen dich kennen, mit dir reden und mit dir zusammen arbeiten. Hast du das nicht gemerkt?“
„Es ist mir nicht entgangen. Doch sie wollten nicht mich – sie wollten das, was Alain aus mir gemacht hat. Wenn ich in Paris bleibe, werde ich keine ruhige Minute mehr haben. Und das war nie etwas, was ich mir gewünscht habe.“
„Wir bekommen eben nicht immer, was wir uns wünschen!“ Christin schrie mir diese Worte ins Gesicht. Tränen füllten ihre Augen, doch sie sah nicht weg. Sie wollte, dass ich ihr Leiden mit ansehen musste.
„Nein, wir bekommen nicht immer, was wir uns wünschen“, flüsterte ich, beugte mich zu ihr herab und küsste sie auf den Mund. Wie eine Ertrinkende umfing sie mich mit ihren Armen.
„Nikola. Nimm mich mit. Ich tue alles, was du willst, nur lass mich nicht allein.“
„Christin, du bist mir wichtig, aber ich werde dich nie lieben können.“
„Das macht doch nichts“, flüsterte sie. „Ich möchte nur in deiner Nähe sein.“
Ich löste ihre Hände mit Gewalt von meinem Hals und
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