Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
betrachten, was er erwartet, selbst dann nicht, wenn die Artikel auf Papiamentu geschrieben sind.«
»Du hast den Umschlag doch nicht etwa per Express abgeschickt?«
»Natürlich nicht, aber er wird trotzdem bald ankommen. Und wenn ihr bis dahin den Jungen noch nicht habt … Was ist eigentlich so schwer daran, den unschädlich zu machen? Der Kerl ist erst fünfzehn! Und die halbe Kopenhagener Unterwelt sucht nach ihm!«
»Das wird schon.«
Aber Teis war da nicht ganz so gelassen, dafür kannte er René zu gut: den Streber, der sich an der Uni krummgeschuftet hatte, der überall Topnoten eingefahren hatte, weil er klüger war als die anderen und weil er wusste, wie man die Profs täuschte. Nein, für Teis kam Abwarten nicht in Frage.
»An sich hast du natürlich recht. Die Geschichte ist plausibler, wenn der Junge zuerst stirbt«, räumte er ein. »Eriksen hat ihn umgebracht und anschließend sich selbst. Aber es ließe sich doch auch anders herum inszenieren. Wir könnten Eriksen entführen und mit dem Weiteren warten, bis der Junge nicht mehr lebt. Ich meine, wenn wir dafür sorgen, dass Eriksen als Kindermörder dasteht, würde sich doch wohl keiner wundern, wenn er schon ein paar Tage vor seinem Verbrechen verschwunden ist. Und die jeweiligen Todeszeitpunkte passen dann auch. Wir wollen den Polizeitechnikern ja keine Ungereimtheiten zumuten, oder?«
Am anderen Ende war es zunächst still.
»Na, okay«, kam es schließlich aus dem Telefon. »Aber dann müssen wir zuschlagen, bevor das Päckchen bei Eriksen ankommt.«
»Meinetwegen sofort. So wie ich ihn kenne, ist René jeden Abend zu Hause. Was anderes traut der sich nicht. Bei der Frau.«
Das Lachen am anderen Ende fand Teis Snap ausgesprochen unpassend, und irgendwie ging es ihm an die Nieren. Es klang wie der fiese Hintergrundsound zu seinem Gefühl, soeben einen alten Schulfreund dem Henker überantwortet zu haben.
»Aber wenn Eriksen eine Frau hat, dann müssen wir die ja wohl auch mitnehmen?«
Unwillkürlich schüttelte Teis den Kopf. »Um die Hexe tut’s mir noch am wenigsten leid, die kannst du von mir aus zum Blocksberg schicken.«
»Also abgemacht: Ich setze die Leute darauf an, die sich damals um Stark gekümmert haben. Kleiner Raubüberfall zu Hause, das machen die nicht zum ersten Mal.« Es ertönte wieder dieses Lachen – und dann das Freizeichen.
Teis klappte das Handy zu und sah hinüber zur Schlafzimmertür. Er hörte, wie die Kofferschlösser einschnappten. Dann schaute er auf die Uhr. Das Timing sah gut aus.
***
Eriksen kam etwas verspätet nach Hause. Seine Frau ließ sich nicht gern von ihm küssen, weil sie sein Gebiss unappetitlich fand. Dabei wusste sie genau, dass er gegen die Parodontose nichts ausrichten konnte. Trotz ihrer säuerlichen Miene hauchte er ihr einen oberflächlichen Kuss auf die Wange, bevor er sich für ein Nickerchen zurückzog. Anschließend nahm er sein Essen mit an den Couchtisch. Alles wie immer, bloß keine Abweichungen von der gewohnten Routine. Er schaltete den Fernseher ein, um auf TV2 die Nachrichten zu sehen. Bis auf Lars von Triers Nazi-Entgleisung gab es nur die immer gleichen belanglosen Nachrichten über den immer gleichen belanglosen Mist. Wen interessierte Königin Elisabeths Besuch in Irland? Einen Iren vielleicht, aber ihn und seine Frau mit Sicherheit nicht. Die war im Hausarbeitszimmer zugange und mal wieder voll und ganz von ihren Problemen absorbiert: dem Blusenknopf, der sich nach der letzten Wäsche nicht wieder anfinden wollte, der Bügelei von Zeug, das nicht die geringste Falte aufwies, und den Streitereien der Tochter mit ihrem Mann.
Wie gut, dass das alles bald der Vergangenheit angehört, dachte er und ließ sich zufrieden in die Polster sinken, als mit einem gewaltigen Knall die Tür zur Terrasse explodierte. Glassplitterflogen durch den Raum. Ein Adrenalinstoß ließ René hochfahren, sodass der Teller mit dem Essen auf dem Teppich landete. Mehrere Gestalten mit Sturmhauben über den Gesichtern sprangen durch die zerbrochene Glastür. Wortlos versetzte einer Eriksen einen Schlag gegen den Kopf, sodass der auf dem Sofa zusammensackte. Er hörte, wie ein anderer auf Englisch sagte, jetzt sei die Frau an der Reihe.
Dennoch ließ man nicht von ihm ab, sondern prügelte weiter auf ihn ein. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen, aber er verlor nicht das Bewusstsein. Er wollte aufstehen, doch Arme und Beine gehorchten ihm nicht. Trotzdem bekam er alles mit.
Die Männer verteilten
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