Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
sich im Haus. Von oben waren Schreie und Gepolter zu hören, als würden Möbel umgestoßen und Gardinen und Bettzeug runtergerissen. Im Hausarbeitszimmer jedoch, wo sich seine Frau aufgehalten hatte, war es ganz still.
»Is she downstairs, Pico?«, rief der eine von oben.
René fühlte sich wie in irgendeinem brutalen B-Movie. Dabei war ihm natürlich bewusst, dass skrupellose Raubüberfälle keineswegs nur in Filmen vorkamen, sondern durchaus auch in harmlosen dänischen Reihenhaussiedlungen. Dass auch im wirklichen Leben unbescholtene Menschen in ihrem eigenen Zuhause gewaltsam zu Tode kamen. Jetzt ergriff ihn nackte Panik.
Was wollen die denn hier stehlen?, dachte er. Ich besitze doch nichts. Der Fernseher ist uralt, der Schmuck meiner Frau ziemlich wertlos, die Karrebæk-Aktien sind in einem Schließfach der Nordea-Bank deponiert …
Da riss seine Gedankenkette ab.
›Wenn du uns drohst, wirst du keine sichere Minute mehr haben, egal, wo du dich verkriechst‹, hatte Teis Snap gesagt.
Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Verdammt. Langsam dämmerte es ihm.
Mit größter Anstrengung drehte er den Kopf zum Hausarbeitszimmer.
Unterdessen kam der Kerl, der so gebrüllt hatte, die Treppe heruntergerannt.
»What the hell …«, hörte man ihn Sekunden später aus dem Hausarbeitsraum, gefolgt von undefinierbarem Gepolter.
Was passiert hier? In Renés Kopf drehte sich alles. Kurz wurde es still, dann hörte er wieder Tumult. Gerade als er dachte, dass dies dann doch nicht das Schicksal war, das er seiner Frau gewünscht hätte, hörte er die Tür des Hausarbeitsraums zuknallen.
Irgendwann, René wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, spürte er wieder den Boden unter den Füßen und die Polster im Rücken. Er reckte den Hals und betastete prüfend seinen Nacken. Nur an den Fingerspitzen war etwas Blut. Also stemmte er sich ächzend vom Sofa hoch. Alles drehte sich, aber er musste raus hier, sofort. Raus und weg.
»Wo willst du hin?« Die gellende Stimme seiner Frau hielt ihn auf, als er über die Glasscherben zur Terrassentür wankte.
Er drehte sich um. Sie war kreidebleich, ihre Augen blitzten vor Zorn.
»Warum bist du mir nicht zu Hilfe gekommen?« Ihre Kittelschürze war voller Blutspritzer, und von der Spitze ihres heißgeliebten Bügeleisens, das sie noch immer umklammert hielt, tropfte ebenfalls Blut. »Aber keine Sorge, du Feigling. Die kommen nicht wieder.« Sie sah sich in dem Chaos um. »Dem Ersten hab ich eins in die Visage gegeben, noch ehe der mich bemerkt hatte, und der andere dürfte auch nicht allzu gut aussehen. Und was hast du gemacht, während ich sie in die Flucht geschlagen habe?« Sie trat auf ihn zu und glich einer Furie.
René schüttelte den Kopf.
»Nichts hast du gemacht, René, nichts! So, und jetzt erklär mir doch mal, was das für Typen waren!« Ihre Stimme klang schneidend. »Ich weiß, dass du das weißt, denn sie kannten meinen Namen.«
»Glaub mir, ich hab keine Ahnung. Ich bin genauso entsetzt wie du. Es ging alles so schnell.«
»Ich glaube dir kein Wort. Wäre der Zweite nicht so ein harter Knochen gewesen, der trotz halb verbranntem Gesicht seinen Freund noch mit sich weggeschleppt hat, dann hätte ich schon selbst rausgefunden, was das hier sollte.«
In ihren Pantoffeln stieg sie über die Scherben und griff nach dem Telefon.
»Aber ich kann sie beschreiben, ich habe ihnen die Hauben runtergerissen.« Sie lachte. »Hässliche kleine Zigeuner. Typen, die hinter Schloss und Riegel gehören.«
Da kehrte unversehens Renés Tatkraft zurück. Das wäre ja noch schöner, wenn seine Frau mit ihrer großen Klappe und ihrem vagen Verdacht seine Pläne durchkreuzte und einen Tag, bevor er sich ins selbst gewählte Exil zurückzog, die Polizei zu ihnen nach Hause einlud! Nein, wenn hier ein Anruf fällig war, dann beim Glasermeister.
Seiner Frau, die jetzt vor ihm stand und meckerte, weil er den Telefonhörer einfach aufgelegt hatte, würde er nachher ein paar Schlaftabletten verabreichen. Dann sollte sie noch mal versuchen, ihn wegen seiner Schlaffheit und Feigheit, seinem hässlichen Gebiss und seinem Mundgeruch zu verhöhnen.
Als er schließlich meinte, sie hätte genug gegeifert, ließ er sie einfach stehen und ging nach oben. Nicht um zu schlafen, das konnte er eh nicht, auch wenn das nun schon die zweite Nacht ohne Schlaf war. Sondern um ungestört Snap anzurufen und ihn mit der neuesten Entwicklung zu konfrontieren.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es
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