Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Oberschenkelkniff. Zum Glück beließ es der Depp bei einem kurzen überraschten Quieken, was Eriksen offenbar nicht weiter auffiel, weil er voll und ganz mit Carls prüfendem Blick beschäftigt war.
»Unserer Kenntnis nach ist das Projekt schon vor Langem zum Erliegen gekommen«, sagte Carl. »Soweit wir feststellen konnten, gibt es dort unten aber weder nennenswerte Bananenplantagen noch Felder. Haben Sie dafür eine Erklärung?«
Eriksen griff sich an den Hinterkopf und kratzte sich unter dem Hemdkragen. Das sollte wohl zufällig wirken, aber irgendetwas hatte den Mann aus der Fassung gebracht, das entging Carl nicht.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Eriksen schließlich. »Ja, es schockiert mich. Wir weisen doch monatlich Gelder an, und damit werden wir in jedem Fall auch bis zum Ende des Jahres fortfahren.«
Carl ging im Geiste die fünf Anzeichen durch, die darauf hindeuteten, dass jemand bei der Vernehmung log. Eriksens Hände lagen flach vor ihm auf dem Tisch, als wagte er nicht, sich zu bewegen. Er starrte Carl direkt und ohne zu blinzeln in die Augen. Er schluckte häufig, was für einen trockenen Mund sprach. Fehlten nur noch Lähmung und Wut, dann hätte man die gesamte Palette. Aber so weit wollte Carl es nicht treiben, denn dann würde Eriksens Redefluss vollständig versiegen.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich Ihnen die Information auf diese Weise mitteile«, sagte Carl. »Aber wir versuchen nur nachzuvollziehen, wie ein Projekt, das in den Verantwortungsbereich Ihrer Abteilung fällt, so sehr aus dem Ruder laufen konnte.«
An dieser Stelle setzte der Protest ein. Nicht wütend, aber doch entrüstet. Ein weiteres Signal. »Ich will offen mit Ihnen sein. Das Baka-Projekt war Starks Angelegenheit. Er war unglaublich gut darin, die Arbeit an die Empfängerländer zu delegieren, was ja auch der Sinn der gewährten Förderung ist.
Das hier war ein einfaches Projekt und eines, das bei guter Vorarbeit im Grunde von selbst hätte laufen sollen.«
»Aha. Sie wollen damit ausdrücken, dass es während der Projektlaufzeit keine weiteren Kontrollen gab?«
»Selbstverständlich gab es die, aber im vorliegenden Fall eher auf lokaler Ebene, vor Ort. Es war, wie gesagt, kein sonderlich großes Projekt.«
Carl schaute zu Gordon hinüber. Egal, was Lars Bjørn in diesem langen Tropf sah, er hatte für eine gewisse Zeit einfach seine verdammte Klappe zu halten. Gordon wirkte gekränkt, du liebe Güte, was für eine Mimose. Aber da es offensichtlich möglich war, seine Stimmbänder durch Kniffe zu beherrschen, war Carl gewillt, noch eine Weile die Kneifzange zu spielen.
Er wandte sich seinem Opfer zu, das nun die Lippen mit der Zungenspitze befeuchtete, offenbar in Vorbereitung einer Verteidigung.
»Wie umfangreich war das Projekt denn eigentlich? In welcher Größenordnung müssen wir uns die Förderung vorstellen?«
Kopfschüttelnd runzelte Eriksen die Stirn. »Ich habe das nicht genau parat, aber auf keinen Fall mehr als fünfzig Millionen im Jahr.«
Carl legte den Kopf in den Nacken. Fünfzig Millionen jährlich! Dafür würde er doch glatt höchstpersönlich von hier bis Nowosibirsk Bananen pflanzen. Wie viel Polizeiarbeit könnte für das Geld erledigt werden! Wie vielen Streifenbeamten könnte man damit die Überstunden bezahlen, die bislang nur abgebummelt werden durften!
»Aber ich kann Ihnen nach dem Wochenende die genaue Zahl vorlegen«, fuhr Eriksen fort. »Unser Kollege, der das Projekt inzwischen betreut, hat Urlaub.«
Carl nickte. »Danke, darauf kommen wir zurück. Im Übrigen haben wir Informationen erhalten, dass der Koordinatordes Projekts vor Ort, ein gewisser Louis Fon, nur wenige Tage vor Stark ebenfalls verschwunden ist. Sagt Ihnen das etwas?«
Das muss es einfach, dachte Carl. Sonst ist da etwas ganz gewaltig faul.
»Ja.« Eriksen nickte. »Das war eine seltsame Sache, für die wir nie wirklich eine Erklärung gefunden haben. Aber das ist leider auch ein Teil von Afrika: Menschen verschwinden, und manchmal tauchen sie dann wieder auf. Viele Versuchungen, viele Gefahren und auch viele Zufälle beeinflussen die Dinge dort unten, manchmal in völlig unerklärliche Richtungen. Wie sagt man doch so schön: Der zweitgrößte Kontinent birgt in vielerlei Hinsicht das größte Durcheinander.«
Da stimmte doch etwas nicht. Hätte Eriksen die Geschichte ausgeführt und versucht, sie zu vertiefen, oder hätte er im Gegenteil geleugnet und behauptet, den Namen des Mannes nie gehört zu
Weitere Kostenlose Bücher