Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Carl.
Aber da überraschte Assad ihn erneut. »Du brauchst dich nicht zu schämen, Miryam, das kannst du anderen überlassen«, sagte er und ließ die Hände auf ihre Schultern sinken.
Ehe sie sich losreißen konnte, hatte er sie an sich gezogen und hielt sie fest. »Sch, sch«, beruhigte er sie und legte eine Handbeschützend auf ihren Hinterkopf. »Du bist jetzt frei. Du bist niemandem mehr Rechenschaft schuldig. Ganz frei, Miryam. Nie mehr betteln, nie mehr stehlen. Wenn du uns hilfst, wird alles gut, begreifst du das?«
Irgendeine Reaktion ihrerseits hatte Carl erwartet, aber nicht, dass sie mit den Tränen kämpfen würde, während sie langsam die Schultern sinken ließ.
Dann entzog sie sich Assads Zugriff und blickte ihm direkt in die Augen.
»Neulich bin ich Marco vor einem Kino begegnet. Ich hab ihn geschlagen, mitten ins Gesicht.« Sie schluckte ein paarmal. »Ich wollte ihm einfach nicht glauben, ich wollte es nicht. Dabei konnte ich in seinen Augen sehen, wie verzweifelt er war.«
»Was glauben, Miryam?« Rose nahm ihre Hand und hielt sie fest. »Was wolltest du ihm nicht glauben?«
»Ich wollte nichts von dem glauben, was mir mein Zuhause wegnehmen würde. Das hat der da doch auch gerade gesagt.« Sie nickte in Assads Richtung.
»Das musst du erklären.«
Sie hob den Kopf. »Eben gerade erst, als Sie mir das Foto von Marcos Vater gezeigt haben, hab ich begriffen, dass jetzt wirklich alles kaputt und verloren ist.« Sie deutete auf die polizeiliche Aufnahme vom Gesicht des Toten. »Oh Gott, ja, jetzt weiß ich es.«
»Das hier ist Marcos Vater?«
Sie nickte. »In der Fußgängerzone hat mir eine von uns erzählt, Zola hätte jemanden auf die Straße geschubst. Aber ich wusste nicht, wen. Ich dachte, es sei Marco gewesen und dass er es verdient hätte.«
»So etwas verdient niemand.«
Sie nickte und senkte den Blick. »Ich weiß.«
Carl gab Rose ein Zeichen, dass sie Miryams Hand nun loslassen solle. Dann zog er seinen Stuhl ganz dicht an die junge Frau heran.
»Erklären Sie uns, was Sie eben meinten, Miryam: Was wissen Sie jetzt?«
»Ich weiß jetzt, dass all das, was Marco gesagt hat, stimmt. Dass es tatsächlich Zola war, der mich damals auf die Straße gestoßen hat, damit ich angefahren werde und als Krüppel besser betteln kann. Und dass er seinen eigenen Bruder getötet hat. Und ich weiß auch, dass Marco recht hat, wenn er sagt, Zola hätte noch andere umgebracht. Jetzt weiß ich es. Ich begreife es nur nicht.«
Carl legte ihr ermutigend eine Hand auf die Schulter. »Fahren Sie fort, Miryam, erzählen Sie uns alles.«
Sie nickte. »Zwei von den Jungs, Pico und Romeo, kamen eines Tages mit einem Foto nach Hause, das sie aus einem Wohnhaus rausgeholt hatten. Sie redeten über den Mann, der auf dem Foto abgebildet war, und über die afrikanische Halskette, die er darauf trug. Etwas später an dem Tag sah ich das Foto dann selbst und erkannte den Schmuck wieder.«
»Sie haben ihn wiedererkannt?«
»Ja. Ich fand ihn schön. Ich hatte ihn an einem Mann gesehen, den sie eines Nachts angeschleppt hatten. Er war bewusstlos, deshalb dachte ich, er hätte getrunken oder so. Aber mehr konnte ich nicht erkennen, weil sie mich sofort rüber ins andere Haus scheuchten. Ich hatte geglaubt, dass er vielleicht oben auf der Landstraße verletzt worden war und dass sie ihm helfen wollten.«
»Und was passierte mit dem Mann?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, dass es was Gutes war.«
»Warum glauben Sie das nicht?«
»Weil ich etwas später in der Nacht hörte, wie Zolas Auto wegfuhr. Und das macht Zola eigentlich nicht freiwillig, so spät wohin fahren. Nachts ist er am liebsten mit einer der Frauen im Bett.«
»Beweist das schon etwas?«
»Nein. Aber am nächsten Tag lehnte eine schlammverkrustete Schaufel am Mülleimer, und die Stiefel von Chris und Zolas Bruder waren auch voller Matsch.«
»Und deshalb glauben Sie, dass sie den Mann umgebracht haben?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich glaube jedenfalls nicht, dass er einfach so gestorben ist.« Nachdenklich sah sie vor sich hin. »Marco muss irgendwie mehr darüber rausgefunden haben.«
»Und Sie, Miryam, worauf bauen Sie Ihre Vermutung?«
»Auf die schmutzige Schaufel, glaube ich.«
»Wie schnell kamen die Männer zurück?«
»Ziemlich schnell, eine halbe Stunde später oder so.«
»Wenn sie die Leiche vergraben haben, könnte das vielleicht im Wald oben auf dem Hügel gewesen sein?«
Sie nickte.
»Tja, das können
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