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Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)

Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)

Titel: Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Die, die ihr bestehlt, die sollten sich für ihre Vorurteile schämen. Das, was sie durch euch verlieren, ist nichts anderes als eine kleine Entschädigung für das, was sie uns antun.
    Doch das Gefühl der Scham stellte sich trotzdem ein. Zola war nie selbst auf der Straße unterwegs gewesen, er hatte keine Ahnung. Und überhaupt: Was wusste er schon von »Zigeunern«?
    Marco schüttelte den Kopf und sah hinüber zu der Frau, die jetzt im 7-Eleven-Kiosk stand. Sie hatte bereits alles in der Hand, was sie kaufen wollte, im nächsten Augenblick würde sie an der Kasse stehen.
    Vielleicht war es das erste Mal, dass Marco tatsächlich die Verletzlichkeit in den Augen eines Opfers sah. Normalerweise wäre er ja längst weit weg und hätte seine Beute sogar schon abgeliefert. Das Opfer hätte er bereits vergessen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ja, er wäre vielleicht schon unterwegs zum nächsten.
    Ob es in dem Portemonnaie, das jetzt unter seinem Pullover brannte, Dinge gab, deren Verlust die Frau sehr schmerzen würde? War mehr darin als nur Geld und Kreditkarten? Irgendetwas Unersetzliches? Verdammt, er wollte sich diese Fragen nicht stellen, und er wollte auch dieses Schamgefühl nicht mehr. Die Zeit, als Zola allein über Marcos Leben bestimmte, war genau in diesem Augenblick vorbei, das wurde ihm schlagartig bewusst.
    Marco wischte sich den Schnee aus dem Gesicht, und als die Ampel auf Grün sprang, überquerte er eilig die Straße. Es waren die längsten fünfundzwanzig Meter seines Lebens.
    Als er vor der Glastür des Kiosks stand, wühlte die Frau bereits fieberhaft in ihrer Tasche. Der Verkäufer hinter der Theke versuchte zwar, sich nichts anmerken zu lassen, aber seine Ungeduld war unverkennbar.
    Marco holte tief Luft und steuerte direkt auf die Frau zu.
    »Entschuldigung«, sagte er und streckte ihr die Geldbörse hin. »Haben Sie die verloren?«
    Sie erstarrte, während sich in ihrem Gesicht die Wechselbäder der Gefühle abzeichneten: Der Schreck verwandelte sich erst in Misstrauen und Wachsamkeit, dann in Ungläubigkeit und zuletzt in Erleichterung. Marco las in diesem Gesicht wie in einem Buch, versuchte sich aber gleichzeitig zu wappnen gegen ihre Reaktion. Auf keinen Fall wollte er ihren Griff um sein Handgelenk spüren. Dann würde er das Portemonnaie einfach fallen lassen, sich losreißen und abhauen.
    Als sie sich schließlich bedankte und ihre Hand nach der Geldbörse ausstreckte, sah Marco ihr in die Augen. Er verbeugtesich kurz und drehte sich zur Tür um, schon auf dem Sprung.
    »Stopp.« Ja, sie war es tatsächlich gewohnt, dass man ihr zuhörte und gehorchte, das merkte man ihrem Tonfall an.
    Vorsichtig blickte Marco über die Schulter zu ihr zurück, und die Angst kroch in ihm hoch: Zwei neue Kunden blockierten inzwischen die Eingangstür. Was war er nur für ein Idiot! Warum bloß hatte er das Portemonnaie abgegeben! Sie hatten ihn doch alle längst durchschaut, sie konnten ja sehen, was er für einer war.
    »Der hier ist für dich«, sagte die Frau deutlich leiser, aber doch so, dass alle es hören konnten. »Nicht viele wären so ehrlich gewesen wie du.«
    Da drehte sich Marco zögernd zu der Frau um, starrte einen Moment ungläubig auf den Hundertkronenschein, den sie ihm hinhielt, und nahm ihn dann mit zitternden Fingern entgegen.
    Eine halbe Stunde später versuchte er die Nummer mit dem Portemonnaie zu wiederholen, jedoch erfolglos, denn diesmal war die Frau über den Verlust und ihre eigene Unvorsichtigkeit so erschrocken, dass sie sich an die Brust griff und in Tränen ausbrach.
    Und da wusste Marco, dass ein für alle Mal Schluss war. Er wollte einfach nicht mehr.
    Die hundert Kronen mussten erst mal reichen.

6

    Anfang 2007 bis Ende 2010
    Marco hatte es in den Grundfesten erschüttert, damals, als Zola die Truppe zusammenrief und ohne Vorwarnung erklärte, dass nichts in ihrem Leben so war, wie sie bislang geglaubt hatten, und dass es auch nie so sein würde.
    Das war an dem Tag gewesen, als Marco elf Jahre alt wurde. An jenem Tag hatte er jeglichen Respekt vor dem Clanoberhaupt verloren.
    Zumindest eine Erklärung hätte er von seinem Onkel erwartet. Doch stattdessen faselte der etwas von einer ominösen nächtlichen Eingebung, von hohem Fieber und bahnbrechenden Gedanken zu ganz neuen Lebenswegen, blablabla.
    Marco hatte sich zu den Erwachsenen umgedreht, die sich im Kreis hinter den Kindern aufgestellt hatten. Sie lächelten, aber ihr Lächeln wirkte aufgesetzt, nervös und

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