Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
folgen.
Bis auf die Nase, die sich jetzt pellte, war die Frau topfit. Jedenfalls legte sie ein solches Tempo vor, dass Carl mit seinem Schlafmangel und seiner Teerlunge und Assad mit seinem immer noch etwas wackeligen Gang kaum hinter ihr die Treppe raufkamen. Entsprechend rangen beide nach Luft, als sie am Wachhabenden vorbei auf den Platz vorm Präsidium stolperten. Rose trabte bereits über die Hambrosgade. Sie war offenbar auf dem Weg zum Parkplatz beim Falck-Gebäude.
Death-Metal-Fans hätten beim Anblick des Fahrzeugs, das sie ansteuerte, sofort feuchte Augen gekriegt: rote, funkensprühende Flammen zogen sich vom Kühler bis zu den Rücklichtern, und ringsum waren Büffelschädel mit nadelspitzen Hörnern aufgesprayt. Nein, besser konnte ein Tourbus nichtzu dem Namen passen, der sich über die Breitseite erstreckte, geschrieben mit Buchstaben in Stacheldrahtoptik. Die Band aus Schonen hatte sich wirklich ins Zeug gelegt.
Mit einem energischen Ruck zog Rose die Schiebetür des Kastenwagens zur Seite und bedeutete Carl und Assad mit einer Geste einzutreten.
Na, wenn das nicht Sverre Anweilers blasse Visage war, die ihnen da missmutig zunickte. Wortlos deutete er auf die Pritsche gegenüber, und ebenso wortlos griff er nach drei Bierdosen, zog die Laschen ab und schob jedem eine hin.
»Ich mach’s kurz«, eröffnete Rose das Gespräch. »Sverre muss nämlich in zehn Minuten los. Nach Århus. Da muss er eine Fähre erwischen.«
Carl setzte sich auf die Pritsche, schob einen Gitarrenkasten beiseite und zog Assad neben sich. Ihnen gegenüber saß ein Mann, den Interpol seit gut einem Jahr suchte. Nur hundert Meter entfernt von dieser ramponierten Blechkiste, in der sie hockten, befand sich der Hauptsitz der dänischen Reichspolizei, und daneben lag das Polizeipräsidium mit Lars Bjørns Einsatztruppe. Wie konnte der Mann ernsthaft glauben, sie würden ihn ohne Weiteres nach Århus aufbrechen lassen?
»Eigentlich hatte ich Anweiler zurzeit in Malmö vermutet, und deshalb wollte ich heute Morgen mit dem Zug rüberfahren. Aber dann habe ich noch mal den Spielplan von Daggers an’ Swords gecheckt und festgestellt, dass sie gestern in Hørsholm gespielt haben.« Rose war ziemlich zufrieden mit sich, das war nicht zu übersehen. »Deshalb hab ich die Veranstalter angerufen und gefragt, ob sie wüssten, wo die Gruppe jetzt ist. Frühstück im Hotel Zleep in Ballerup, hieß es.«
»Ja, als sie anrief, hab ich geglaubt, sie wär ein Groupie.« Der Schwede bemühte sich ganz offensichtlich, dänisch zu klingen.
»Ja, ich habe mir auch alle Mühe gegeben.« Sie lachte.
Carl runzelte die Stirn. Nach dieser Veranstaltung hier war ja wohl ein Gespräch fällig – darüber, dass man einen von Interpolgesuchten Mordverdächtigen nicht mal eben kurz per Telefon zu einem Treffen einbestellte. Nein, man tauchte unangekündigt auf und nahm ihn fest. Fertig.
»Rose hat mich über die Situation aufgeklärt, und ich war vollkommen entsetzt, denn ich hatte von nichts eine Ahnung«, fuhr das mickrige Männlein fort. »Aber ich schwöre Ihnen, dass ich mit dem unglücklichen Vorfall nichts zu tun habe.«
Ein erstaunlich wortgewandter Schwede, dachte Carl.
»Klar, das müssen Sie ja sagen«, entgegnete er.
»Ja. Aber ich war nun mal tatsächlich während der gesamten Zeit verreist, ich hab das doch alles gar nicht mitbekommen. Im Südhafen bin ich seit dem Verkauf meines Hausboots nicht mehr gewesen. Aber ich hatte mir vorgenommen, der neuen Besitzerin einen Besuch abzustatten, sobald ich Zeit dafür hätte, um zu sehen, wie es ihr so geht.«
»Wir haben in der Tat ein Indiz, das darauf hinweist, dass Sie verreist waren, das kann ich bestätigen. Aber wie bekommen wir Gewissheit?«
»Wie? Na, ich habe doch alles Mögliche mitgebracht. Quittungen und Fotos und so Zeug. Liegt alles in der Wohnung in Malmö. Sie hätten bloß zu fragen brauchen.«
Carl nickte. »Wenn das, was Sie da behaupten, der Wahrheit entspricht, dann muss sich der Fokus unserer Ermittlungen von Ihnen wegbewegen, das ist uns klar. Sie können mir nicht zufällig noch sagen, ob sich auf dem Hausboot irgendetwas befunden hat, was als Ursache einer so gewaltigen Explosion in Frage kommen könnte? Das ist sicher nicht ganz leicht zu beantworten, kann ich mir denken.«
Sverre Anweiler drehte etwas in seinen Händen, das wie die Elektronenröhre eines alten Radios aussah. Vielleicht war es auch etwas, das zu den Verstärkern gehörte, die hinten im Bus
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