Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
Tochter, die außerordentlich zart wirkte – fast wie die schwächlichen Vogeljungen, die von der Vogelmutter instinktiv aus dem Nest geschubst wurden.
Stark sah auf allen Fotos glücklich und entspannt aus. Auf einem der Bilder stand er zwischen seinen beiden Lieben und hielt ihre Schultern umfasst. Alles in allem machte er den Eindruck eines Mannes, dessen Exzesse sich auf einen lila Schlips zum Anzug oder ein grün kariertes Hemd mit kurzen Ärmeln beschränkte. Allein schon sein Erscheinungsbild erklärte, warum er es trotz des ausgezeichneten Examens nicht weiter gebracht hatte. Ohne Zweifel war der Mann zu zurückhaltend und bescheiden und in vieler Hinsicht sicher auch zu korrekt gewesen. Das alles strahlte er auf den Fotos aus, und das weckte Carls Neugier. Wenn in das Leben eines so redlichen, rechtschaffenen Menschen plötzlich Unregelmäßigkeiten Einzug hielten, hinterließ das in der Regel Spuren.
»Assad, erzähl mehr von dem Einbruch«, bat Carl.
Assad schlug seine Mappe auf und zog die Kopie des Berichts heraus.
»Das waren Profis. Keine Fingerabdrücke, keine DNA-Spuren. Einige Nachbarn sagten, sie hätten gesehen, wie ein paar Männer in einem gelben Lieferwagen vorgefahren seien. Sie trugen Blaumänner und schwarze Caps. Ganz gewöhnliche Typen, vielleicht ein bisschen dunkel für die Jahreszeit.« Assad grinste. Eine Formulierung, die er ohne Zögern auch auf sich anwenden würde.
»Aber bei so was wie der Hautfarbe weiß man doch heutzutage nicht richtig, was das heißt, oder? Alle verreisen doch das ganze Jahr über. Skiurlaub, Badeurlaub. Bald sehen doch alle so aus wie ich, nur nicht so hübsch.« Auffordernd zog er die Augenbrauen in die Höhe.
Er zuckte die Achseln. »Sie kamen durch die Haustür rein, bestimmt mit einer Sperrpistole, jedenfalls hinterließen sie keine Spuren an der Tür, und niemandem kam etwas komisch vor. Eine Frau, die im Nachbargarten arbeitete, sagte, sie hätte darauf geachtet, ob sie beim Herauskommen viel mitschleppten, aber die hatten nichts dabei. Jedenfalls nichts Sichtbares. Etwa eine Stunde waren sie im Haus, dann gingen sie. Winkten der Frau zu, und weg waren sie.«
»Hat Malene Kristoffersen den Einbruch gemeldet?«
»Ja, und deshalb sind sie auch ausgezogen. Sie und ihre Tochter fühlten sich hier nicht mehr sicher.«
»Das Haus ist unverändert?«
»Ja.«
»Wie kann das sein? Wer zahlt die Raten?«
»Auf dem Haus liegt keine Hypothek mehr. Und alle übrigen Ausgaben werden aus den Erträgen bestritten, die Starks Anlagevermögen abwirft.«
»Hm.« Carl sah sich um. »Wenn die nicht mit den Lautsprechern oder dem Verstärker abgezogen sind, wonach mögen diegesucht haben? Geld, Wertpapiere, Schmuck? Ist es sicher, dass er sein Vermögen auf legalem Weg erworben hat? Hast du gecheckt, ob es sich wirklich um ein Erbe handelte? Das er rechtmäßig angetreten hat? Hast du die Papiere des Nachlassgerichts eingesehen?«
Aus Assads Blick sprach tiefe Enttäuschung. Natürlich hatte er.
Carl ließ seinen Blick ein weiteres Mal durch den Raum schweifen. »Das wirkt alles grundsolide, aber das heißt ja bekanntlich nichts. Darin würde man sich nicht zum ersten Mal täuschen. Möglich, dass Drogen dahinterstecken. Oder vielleicht irgendwelche Besitztümer im Ausland, die er bei den dänischen Behörden nicht angegeben hat. Irgendetwas, das er sich auf kriminellem Weg beschafft hat. Vielleicht ist er so überstürzt aus Kamerun zurückgekommen, weil dort unten etwas schiefgegangen ist. Und dann wurde er hier von einer Abordnung empfangen, die ihn liquidiert hat. Zeigen die Überwachungsvideos vom Flughafen nicht, mit welchem Transportmittel er von Kastrup weggekommen ist?«
»Doch, mit der Metro.«
»Und dann?«
»Man sieht ihn auf dem Bahnsteig, aber dann nicht mehr.«
»Gibt’s das Video noch?«
Assad zuckte die Achseln. Das hatte der Gute also noch nicht überprüft.
»Schaut mal, hier«, meldete sich da plötzlich Rose von der Doppeltür.
Sie deutete über den Flur in ein kleines Büro mit einem offenen Tresor an der Wand. Es war einer dieser mittelgroßen Safes mit Drehgriff in der Mitte der Tür.
»Stand der vor dem Einbruch auch offen?«, fragte sie Assad.
Der nickte. »Malene Kristoffersen hat ausgesagt, dass der nie verschlossen war. William Stark benutzte ihn nicht. Er besaß ein Bankschließfach bei der Danske Bank, das er allerdingswenige Monate vor seinem Verschwinden gekündigt hatte.«
»Wusste sie etwas darüber, was in dem
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