Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
anzügliche Blicke zuwirft, ist am
grässlichsten. Das soll sie noch zwei Monate aushalten? Denn so lange dauert
der Arbeitseinsatz noch, der im Mai nach Ablauf der ursprünglich angesetzten
Zeit von neun Monaten noch einmal um dieselbe Zeit verlängert worden war.
Sie muss an das denken, was ihr der Rittmeister aus Pommern gesagt
hat: Wenn die Russen nach Harstad kommen, wird sie in Gefahr sein, weil sie für
die Deutschen gearbeitet hat. Es wird Zeit, die Heimat zu verlassen. Sie muss
versuchen, nach Südnorwegen zu gelangen. Und sie hat eine Idee, wie es gelingen
kann, vom Stadtkommandanten dafür die Genehmigung zu erhalten: Sie wird ihre
Cousine Liv um Hilfe bitten. Liv soll einen Brief schreiben und um
Unterstützung bei der Pflege ihrer kranken Mutter in Odda bitten. Odda liegt
tausend Kilometer weiter südlich. Zu weit für Stalin und zu weit für Hauptmann
Ascher. Aber leider auch zu weit für Helmut.
Die Eltern reagieren ablehnend auf Lillians Vorhaben. John und Annie
halten es für richtig, dass ihre Tochter in dieser schwierigen Zeit zu Hause
ist und nicht unter großen Gefahren die lange Reise in den Süden antritt. Der
Vater hat ihr ohnehin nicht verziehen, dass sie immer noch an diesem deutschen
Soldaten hängt. Und sich selbst verzeiht er nicht, dass er die beiden
zusammengebracht hat.
Lillian leidet sehr unter der ablehnenden Haltung ihrer Eltern. Als
sie einmal mit ihrer Mutter in der Küche allein ist, will sie noch einen
Versuch wagen:
»Mama, du hast ihn doch auch kennengelernt. Meinst du wirklich, dass
er über das glücklich ist, was die Deutschen hier machen?«
Aber Annie weist sie ab. »Er trägt eine deutsche Uniform, Lillian.
Die Uniform derer, die Finnmark abgebrannt haben! Papa und ich wollen nicht,
dass unsere Tochter etwas mit einem Mann zu tun hat, der in dieser Uniform
steckt. Warum kannst du das eigentlich nicht verstehen?« Lillian beginnt zu
weinen. »Weil ich ihn liebe. Deshalb. So wie du Papa geliebt hast, als ihr euch
kennengelernt habt.«
Es ist aussichtslos, ihre Mutter will sie nicht verstehen. Wenn sie
ihr doch nur sagen könnte, in welcher Gefahr Helmut ist und wie schwer er es
hat, nachdem man seine Mutter in dieses Arbeitslager verschleppt hat. Aber sie
hat Helmut ihr Ehrenwort gegeben.
»Ich werde weggehen von hier, Mama.«
Wenige Tage später steht sie vor Hauptmann Ascher. Sie
zeigt ihm den inzwischen eingetroffenen Brief der Cousine. Ascher macht ein
süßsaures Gesicht. Am nächsten Tag teilt er ihr nach Rücksprache mit dem
Stadtkommandanten mit, dass sie zu ihrer Tante nach Westnorwegen fahren darf.
Ausnahmsweise. Und weil er, Ascher, sich für sie eingesetzt hat.
Die letzten Tage in Harstad
Januar 1945
Als Helmut im Januar für einige Urlaubstage zu Lillian
fährt, fallen sie sich an der Haltestelle in die Arme. Das Haus in der Halvdansgate
ist und bleibt Helmut verschlossen. Lillian fragt nach Helmuts Eltern, und er
holt einen Brief seines Vaters aus Zeitz hervor und gibt ihn ihr zum Lesen:
Mein lieber Helmut, während meiner letzten Wuppertaler Tage
gingen drei Päckchen mit Dosen von Dir ein. Ich nehme an, Fischfrikadellen und
Ölsardinen. Für alles meinen Dank.
Es war schon an der Zeit, dass ich mich hier mal wieder sehen
ließ, denn ich traf die halbe Portion nicht so an, wie es mein Wunsch gewesen
wäre, und meine Dir bereits geäußerten Befürchtungen waren mehr als berechtigt.
Nach meinem letzten Besuch ist sie andauernd von Krankheiten geplagt worden.
Ein Fußleiden, an dem sie ohne Erfolg herumdokterte, und schließlich eine
Erkältung, an der sie augenblicklich noch leidet. Das Schlimmste an der ganzen
Geschichte waren aber nicht diese Leiden, sondern die durch dieselben
hervorgerufene Gemütsbewegung. Bei ihr verstärkte sich der Gedanke, daß die
häufigen Erkrankung die andere Seite veranlassen könnte, sich ihrer zu
entledigen. Die Selbstaufgabe war in greifbare Nähe gerückt, was ich mit
Mißbehagen bei meiner Ankunft feststellen mußte, als ihr Gesicht auch ihre Not
widerspiegelte.
In den wenigen Tagen meines Hierseins ist aber schon zu meiner
Freude eine erfreuliche Verbesserung eingetreten. Viel dazu beigetragen hat auch
der von mir angestrebte und auch erzielte Erfolg an der maßgebenden Stelle, die
mir nach der nötigen »Nachhilfe« wörtlich versicherte, nachdem ich von den
Krankheiten meiner Frau offen gesprochen und auch ihre Angst nicht unerwähnt
gelassen hatte, daß eine zur Verfügungstellung niemals in
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