Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
sie aber eingebrannt als
humanitäre und wirtschaftliche Katastrophe des Landes – ins Werk gesetzt von
deutschen Soldaten. 68
Als Helmut für ein paar Tage nach Harstad kommt, ist die
Halvdansgate 16 endgültig für ihn verschlossen. Nach dem Niederbrennen
Nordnorwegens hat Lillians Vater dem deutschen Soldaten das Haus verboten. John
ist außer sich und will Helmut nie mehr sehen. Lillian weint, als sie es Helmut
sagen muss. Als er ihr von der Deportation seiner Mutter erzählt, fühlt sich
Lillian auf dieser Welt völlig verlassen.
Die Front rückt näher
November 1944
Heinz Crott ist sehr besorgt, seit sein Sohn an den
norwegischen Fjorden im Einsatz ist. Zur Angst um Carola kommt nun auch die
Angst um Helmut.
Am 14. November 1944 schreibt er in Brief Nr. 49:
Ich entnehme Deinen Briefen als Hauptmerkmal die betrübliche
Tatsache, dass es mit Deiner bis zum Ende dauernden Verschonung vom
Kriegsgeschehen nun doch nichts geworden ist. Deine fortgesetzten Bemühungen,
uns die Veränderung der Lage als ziemlich harmlos hinzustellen und sie so zu
schildern, als wenn man im zivilen Leben seine Wohnung wechselt,
unterstreichen nur Deine Sorge, dass wir uns jetzt um dich ängstigen, was Du
aber bei aller Schreibfertigkeit doch nicht verhindern kannst.
Bei dem täglichen Wehrmachtbericht sehe ich jetzt zuerst nach
dem Schluss, wo etwas von der Eismeerfront stehen könnte, und ich atme täglich
befreit auf, wenn da nichts mehr zu finden ist. Unter diesen Umständen empfinde
ich über Deinen Bericht, daß Du in Sachen Verpflegung und Unterkunft nur eine
geringe Einbuße hinsichtlich der letzteren zu verzeichnen hättest, nicht die
große Freude wie sonst, und ich lese nur: »denn schließlich ist die Kompanie
jetzt eingesetzt«, wogegen alles andere verblassen muß. Zu allem Unglück bleibt
jetzt auch die Post aus, und da soll man nicht das kalte Kotzen kriegen.
Was bleibt mir anderes übrig, als Dir, meinem lieben Jungen,
Hals- und Beinbruch zu wünschen. Gott möge Dich in seinen Schutz nehmen, daß
ich wenigstens Dich in nicht allzu ferner Zeit glücklich wiedererhalte und aus
mir nicht ein gänzlich vereinsamter Mensch wird.
In Harstad nimmt nach dem Niederbrennen der nördlichen
Provinzen die Beunruhigung unter der Bevölkerung ständig zu. Nach viereinhalb
Jahren Besatzung jetzt noch einmal eine solche Eskalation! Als Lillian eines
Morgens in die Kommandantur kommt, teilt ihr Ulvall mit, dass Rittmeister Wölle
von der Zahlmeisterei sie sofort für eine sehr wichtige Übersetzung braucht.
Aber vorher hält ihr Ulvall noch die Zeitung unter die Nase. Ein junger Mann in NS -Uniform ist nachts in Oslo erschossen worden.
»Hast du eigentlich noch diesen Freund, Lillian«, flüstert Erik Ulvall, »diesen
Hitlersoldaten?«
Die Zahlmeisterei liegt eine Etage über ihnen. Seit ihrem ersten Tag
in der Kommandantur hat Lillian den Eindruck gehabt, dass Rittmeister Wölle,
ein Gutsbesitzer aus Pommern, kein schlechter Mensch sein kann. Sie klopft an
seine Tür. Der Rittmeister steht von seinem Schreibtisch auf, begrüßt sie und
bittet, Platz zu nehmen.
»Bevor wir mit unserer Übersetzung anfangen, Fräulein Berthung,
möchte ich etwas Persönliches mit Ihnen besprechen. Aber es muss unter uns
bleiben.« Lillian schaut ihn erstaunt an. Der Rittmeister hat sich eine Zigarre
angezündet, sein Blick folgt den aufsteigenden Rauchringen. Das schmale Gesicht
mit den graublauen Augen wirkt angespannt.
»Sie arbeiten nicht nur auf der deutschen Kommandantur, Fräulein
Berthung, sondern Sie haben auch einen Freund, einen deutschen Soldaten.«
Was kommt jetzt? Will er sie erpressen? Lillian erstarrt.
»Warum sage ich das zu Ihnen? Ich mache mir Sorgen um Sie. Weil Sie
mich an meine einzige Tochter erinnern. An meine Tochter, die mit meiner Frau
auf unserem Gut in Pommern lebt. Niemand weiß, wie sich die Situation
entwickeln wird.«
»Welche Situation?«, fragt Lillian, die den Rittmeister nicht so
recht versteht. »Die Front«, sagt der Rittmeister. »Die russische Front rückt
näher. In Pommern wie in Norwegen. Ich habe meiner Frau geschrieben, dass sie
mit unserem Kind zu Verwandten nach Bayern gehen soll, bevor es zu spät ist.« Rittmeister
Wölle beugt sich ein wenig vor. Seine Stimme ist jetzt ganz leise. »Sie haben
keine Verwandten in Bayern? Zufälligerweise?«
»In Bayern?«, antwortet Lillian vollständig verwirrt.
»Mein Gott, Fräulein Berthung, so verstehen Sie doch bitte –
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