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Erzaehl es niemandem

Erzaehl es niemandem

Titel: Erzaehl es niemandem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randi Crott , Lillian Crott Berthung
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und furchtbare Schreie von denen, die im
auslaufenden Öl verbrennen.
    Crott schwimmt immer weiter, nur weg vom Schiff. Weg von dem
drohenden Sog. Nach einer Weile wagt er einen Blick zurück und sieht die Wigbert untergehen. Ein Soldat, der sich in die oberste Mastspitze geflüchtet hat, wird
in hohem Bogen über das Meer geschleudert.
    Crott werden die Beine lahm, die Kälte kriecht an ihm hoch. Überall
Wrackteile um ihn herum, überall Schreie. Köpfe verschwinden und tauchen nicht
mehr auf. Plötzlich wird er ganz schwer und er merkt, dass sich ein Mann an ihn
klammert: »Mama, Mama, hilf mir.« Crott hat noch die Kraft, dem Armen zu
helfen, sich an einer Holzplanke festzuhalten. Plötzlich sieht er die Feldküche
neben sich schwimmen und zwei Soldaten, die sich an ein Ofenrohr klammern. Kurz
darauf sind sie tot, erschossen von einem deutschen Motor-Torpedoboot. Es hat das
Ofenrohr mit dem Periskop eines englischen U-Bootes verwechselt.
    Crott wird immer müder und seine Kräfte schwinden zusehends. Dann
kann er nicht mehr und will aufgeben. Aber auf einmal kommt doch wieder dieser
Lebenswille, und er kämpft verzweifelt weiter. Später wird er sagen: »Man
stirbt in Etagen, es wurde immer kälter bis nach oben.«
    Sein Durchhaltevermögen wird belohnt, als sich ein deutsches
Schnellboot nähert. Man wirft ihm ein Tau zu. Aber er bekommt es mit seinen
steif gefrorenen Händen nicht zu fassen. Die Leute an Deck versuchen es mit
einer Schlinge. Es gelingt ihm mit letzter Kraft, sich einzuhängen. Crott wird
an Bord gezogen.
    Unter Deck liegen Tote und Lebende nebeneinander. Crott bekommt
einen trockenen Drillich. Dann fängt er an zu zittern. Eine Stunde lang.
    Auf einmal Alarm – wieder feindlicher Beschuss …
    »Noch einmal springe ich nicht«, sagt Crott zu dem Mann, der aus dem
Maschinenraum kommt.
    »Unbesorgt, Kamerad – wenn wir hier einen verpasst bekommen, lohnt
sich das Springen sowieso nicht mehr.«
     
    Ich weiß jetzt, dass es das britische U-Boot Triton war, das den vernichtenden Torpedo auf die Wigbert abgeschossen hat. Das U-Boot versenkt am 10. April aus dem Geleitzug der 2. Seetransportstaffel die Dampfer Friedenau (5219  BRT )
und Wigbert (3648  BRT ) sowie den Begleiter V 1507/Rau 6 .
So steht es jedenfalls in den einschlägigen Veröffentlichungen. Der Kommandant
der Triton ist Lieutenant-Commander Edward Fowle Pizey. Die Triton hat
bereits am 8. April zehn Torpedos gegen die deutschen Kreuzer Blücher , Lützow und Emden abgefeuert, diese Schiffe aber nicht getroffen.
    Während ich das lese, merke ich, dass ich es lieber gehabt hätte,
dass die Briten am 10. April mit ihren Torpedos das Schiff meines Vaters
verfehlt hätten. Andererseits bin ich ja auf ihrer Seite. Vor allem mit meiner
norwegischen und meiner moralischen Hälfte. Aber die Briten haben eben auch
meinen Vater getroffen und ihn fast umgebracht.
    Ich suche im Internet nach einem Foto von Edward Fowle Pizey, ich
will einfach sein Gesicht sehen, und ich finde ein kleines unscharfes Bild, das
einen etwas milchgesichtigen jungen Mann zeigt, der den Spitznamen »Bertie«
trägt.
    Zum Zeitpunkt der Torpedierung am 10. April ist er gerade 34 Jahre
alt, fast acht Jahre älter als mein Vater. Bertie ist am 30. Mai 1983
gestorben. 25 Jahre vor meinem Vater. Ich erschrecke, als ich merke, dass mich
das mit einer gewissen Genugtuung erfüllt.

In der Hütte am Steinsåsvann
    April 1940
     
    »In Harstad wird es jetzt immer gefährlicher«, sagt
Lillians Vater zu seiner Frau Annie. In der Nacht haben immer wieder die
Sirenen geheult. »Unsere Stadt ist Militärstützpunkt und deshalb feindlichen
Angriffen ausgesetzt, aber am Steinsåsvann werden du und die Kinder in
Sicherheit sein.«
    Die kleine rote Hütte, die zehn Kilometer von der Stadt entfernt an
einem der vielen hundert Seen der Insel Hinnøy liegt, hat John Anfang der
dreißiger Jahre errichten lassen. Tagelang ist er damals um den See, den
Steinsåsvann, herumgewandert, um nach der besten Stelle zu suchen. Gefunden hat
er sie schließlich dort, wohin kein Weg führt, was bedeutet, dass man die Hütte
nur per Ruderboot erreichen kann, es sei denn, man macht einen längeren und
beschwerlichen Fußmarsch durch den dichten Wald rund um den See. Bis in den Mai
hinein ist das Wasser aber zugefroren. Dann erreicht man die Hütte auch zu Fuß
über das Eis. So auch in diesen Apriltagen.
    John bringt noch am selben Tag seine Frau mit Eileen und Bjørn in
die Hütte. Nur Lillian

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