Erzaehl es niemandem
Gesicht deuten soll. Der General scheint wenig Zuversicht zu
haben.
Eine Kolonne nach der anderen nähert sich dem Hafen. Der Marschtritt
der eisenbeschlagenen Knobelbecher und der Gesang aus rauen Kehlen schallt
durch die Gassen der Stadt: »Oh du schöner Westerwald«. Einige singen auch
»Westerwall«. Offenbar sind sie in Gedanken schon an der Westfront.
Als der Gefreite Crott am Abend des 7. April 1940 in Gotenhafen an
Bord des Frachtschiffes Wigbert geht, hat auch er nicht die geringste
Ahnung, wohin die Reise geht. Er kennt nur den Tagesbefehl: »Manöver in der
Ostsee«.
»Dafür kommen aber zu viele Pferde an Bord«, denkt er, als er seine
Haflinger Lenchen und Lieschen im Käfig am Ladekran hängen sieht. Aber Crott
hat sich längst verboten, über so etwas nachzudenken, mittlerweile erscheint
ihm alles absurd.
Treppe D
April 1940
An Bord der Wigbert hat alles seine militärische Ordnung,
nachdem die Marine das ehemalige Frachtschiff übernommen hat. Man teilt unter
Deck die vier Kompanien auf die Kojen ein, dann geht es um die Fluchtwege.
Kompanie angetreten! Zuhören! Im Falle eines Feindbeschusses mit darauf
folgendem Untergang hat die erste Kompanie gefälligst die Treppe A, die zweite
die Treppe B, die dritte die Treppe C und die vierte die Treppe D nach oben zu
benutzen. Verstanden?
Crott nimmt Haltung an und brüllt wie alle anderen: »Jawoll, Herr
Hauptmann!«
Beim Abtreten fragen sich die Männer, wer denn bei einem Manöver auf
der Ostsee auf sie schießen soll. Die Wigbert gehört
zur zweiten Seetransportstaffel, die im Rahmen der Operation »Weserübung« am 8. April um 16 Uhr den Ostseehafen Gotenhafen verlässt. Insgesamt besteht
die Seetransportstaffel aus 11 Schiffen mit 8701 Männern, 945 Pferden, 453 Fahrzeugen und 4200 Tonnen Material. 20
Zunächst soll sich niemand von den Mannschaften an Deck sehen
lassen. Wo es nötig ist, müssen Wolldecken übergelegt werden, damit die
feldgraue Uniform nicht zu erkennen ist. Denn es besteht ja die Möglichkeit,
dass man durch das Periskop eines U-Bootes beobachtet wird. Noch ist alles
geheim. Erst als die Schiffe die Halbinsel Hela umfahren haben, dürfen die
Offiziere die Umschläge mit den Befehlen entsiegeln. Und so ist die
Überraschung zuerst bei den Offizieren und später bei den Mannschaften groß,
als sie erfahren, dass es nach Norwegen gehen soll.
Am 9. April befinden sich die Schiffe südlich der dänischen Inseln.
Am Morgen des 10. April nehmen die elf Schiffe eine Konvoi-Formation ein. Jetzt
fahren sie in Dreierreihen. Die Wigbert fährt in einer Reihe mit der Rosario und der España , auf der General Pellengahr
mit seinen Stabsoffizieren ist. 21
Die See ist ruhig, und wer an Deck ist, freut sich über den ersten
warmen Frühlingstag. Es ist kurz nach 12 Uhr, als General Pellengahr einen
Funkspruch aus der ersten Reihe des Konvois empfängt. Die Hamm ist in der
Höhe Göteborg von einem englischen U-Boot angegriffen worden. Pellengahr ist
zutiefst beunruhigt, seine schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden: Im
Kattegatt lauern britische U-Boote 22 . Die nächsten Stunden
verlaufen zwar ohne besondere Vorkommnisse, aber in den frühen Abendstunden
melden auch die Wigbert und die Friedenau Treffer.
Schiffsposition 57 Grad 27 Minuten Nord, 10 Grad 46 Minuten Ost: Der
Gefreite Crott liegt in seiner Koje. Plötzlich wird das Schiff von einem
starken Schlag erschüttert. Crott fliegt aus seiner Koje und findet sich auf
dem Boden wieder. Das Durcheinander unter Deck ist unbeschreiblich.
»Wir haben einen abgekriegt, raus, nach oben«, brüllt Crott und
seine Augen suchen nach der für seine Kompanie vorgesehenen Treppe, aber die ist
nicht mehr vorhanden. Er bahnt sich einen Weg durch das Gewühl, findet endlich
die einzige noch bestehende Treppe und stürzt nach oben. Das Schiff neigt sich
schon bedrohlich mit dem Heck ins Wasser, und die ersten Soldaten lassen sich
ins Meer fallen. Plötzlich brüllt eine Stimme: »Jetzt springt niemand, jetzt
springt Oberstleutnant Dr. Pohl!«
Darauf ruft Crott: »Was heißt hier Pohl? C kommt vor P, jetzt
springt Gefreiter Dr. Crott!« Schon hat er seine schweren Stiefel ausgezogen
und springt mit der Schwimmweste in die Tiefe. Nur schnell weg, bevor das
Schiff sinkt und alle mit nach unten zieht.
Das eiskalte Wasser des Kattegatts nimmt ihm fast den Atem, aber er
schwimmt mit aller Kraft los, denn er schwimmt um sein Leben. Um ihn herum
andere Köpfe, zappelnde Arme
Weitere Kostenlose Bücher