Erzaehl es niemandem
soll zunächst in der Stadt bleiben, um für den Vater zu
sorgen. John kann seinen Betrieb, für den er die Verantwortung trägt, nicht
verlassen. Sein ältester Sohn ist seit einigen Tagen mit anderen Schülern zu einem
freiwilligen Hilfsdienst irgendwo auf Hinnøy eingesetzt, Annie macht sich große
Sorgen um ihn. Die Berthungs stellen sich auf schwierige Zeiten ein. In den
nächsten Tagen will John mit Hilfe von Freunden einige Möbel und Bücher aus dem
Haus in die Scheune eines Bauernhofs bringen, der ein wenig abseits der Stadt
liegt.
In Harstad sind alle Schulen bereits geschlossen. Die Evakuierung
der Bevölkerung hat begonnen, und die meisten Freundinnen von Lillian haben mit
ihren Familien die Stadt schon verlassen. Jeden Abend bringen John und Lillian
Lebensmittel in die Hütte am See. Und die neuesten Zeitungen. Sie berichten
über die erbitterten Kämpfe in Nordnorwegen. Die Militärs sind aus Harstad
verschwunden, es heißt, dass sich General Fleischer und seine Soldaten im
Landesinneren bei Kämpfen an strategisch wichtigen Stellen befinden. »Wie es Tore
wohl geht?«, fragt sich Lillian mehr als einmal. Sie hat nicht aufgehört, an
den jungen Mann zu denken, der sie nach dem Ball nach Hause gebracht hat.
Irgendwo in den Bergen soll Tore jetzt gegen die Deutschen kämpfen.
»Das Beste wäre, wenn du bei den anderen in der Hütte bleiben
würdest«, sagt der Vater eines Tages, nachdem es in Harstad wieder einmal
Fliegeralarm gegeben hat. Aber Lillian will nicht. »Es gibt doch auch die
anderen freiwilligen Helferinnen in der Stadt. Da kann ich auch bei dir
bleiben, Papa.«
Einige Tage später kommt tatsächlich ein kurzer Brief von Tore, in
aller Eile geschrieben. »Wir hatten Feindberührung, es gab schwierige
Situationen. Es ist sehr kalt. Vielleicht müssen wir schon in den nächsten
Stunden weiter«. Ganz unten sind zwei kleine Kreuze gemalt. Damit es Lillian
auch bestimmt versteht, steht darunter: »Das bedeutet: Zwei Küsse von deinem
Freund Tore.«
Über die Gräber – vorwärts
April 1940
Der Infanterist Crott hat endlich wieder Land unter den Füßen.
Er und die anderen Geretteten kommen am nächsten Morgen in Oslo an. Keine Zeit,
um sich zu erholen. Die, die überlebt haben, müssen die Leichen der toten
Kameraden vom Schiff tragen und sie auf dem Kai im Hafen von Oslo auslegen. Die
Reihe ist lang.
Crott hat den Befehl bekommen, die Erkennungsmarken vom Hals der
Leichen zu nehmen. Sie müssen an die Familien in der Heimat geschickt werden.
»Gefallen für Führer und Vaterland«. So wird es nachher in den Mitteilungen für
die Angehörigen stehen. Crott sieht in die Gesichter seiner toten Kameraden.
Soweit man sie noch erkennen kann. Andere wiederum sehen aus, als würden sie
noch leben. Er selbst bemüht sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.
Seit heute Morgen ist Crott Obergefreiter. Die Karriere hat er den
britischen Torpedos zu verdanken. Bald wird man am Revers seiner Uniformjacke
ein rotes Band mit Längsstreifen anbringen, zum Zeichen, dass er bei der
Besetzung Norwegens mit dabei gewesen ist.
Der Führer nennt die »Operation Weserübung« in seiner Reichstagsrede
im Juli 1940 das »kühnste Unternehmen der deutschen Kriegsgeschichte« 23 .
Über die Toten und Vermissten spricht er nicht.
In der Nacht des 12. April werden die Überlebenden der Schiffe Wigbert und Friedenau mit einem Bus durch die verdunkelte norwegische Hauptstadt gefahren. Die Fahrt
endet im Stadtteil Töyen. Und schon wieder in einem Klassenzimmer. Der
Obergefreite Dr. Helmut Crott ahnt, dass die Schule trotz seiner Dissertation
für ihn noch nicht erledigt ist. Jedenfalls nicht in diesem Krieg. Auf dem
Schulfußboden liegen die, die vom Kampf übrig geblieben sind. Für den nächsten
Kampf. Bei der Feier für die gefallenen Kameraden wird General Falkenhorst
sagen: »Lasst uns die Trauer hinter uns legen. Unser Wahlspruch soll sein:
Über die Gräber – vorwärts!« 24
Abbildung 6
Um mehr über die Vorgänge im Kattegatt herauszufinden, logge
ich mich im Internet unter dem Namen Wigbert in ein Marineforum ein und frage, ob
jemand etwas über dieses Schiff und seine Besatzung weiß. Einen Tag später habe
ich zehn Antworten auf meine Frage. Eine kommt von einem Norweger, der einen
Hinweis auf eine Seite mit Fotos schickt, die deutsche Soldaten während ihrer
Zeit in Norwegen aufgenommen haben und die ihnen in der Gefangenschaft
abgenommen worden sind. Ich finde tatsächlich ein Foto, das
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