Erzaehl mir ein Geheimnis
das marineblau und limettengrün gestrichen war. Das Haus stand auf einem Sockel aus moosbedeckten Steinen im Schatten eines Zedernbaums, der es überragte. Weiter unten übersäten Nadeln und Zapfen den Gehweg und Parkstreifen.
»Pass auf, wo du hintrittst«, befahl Shelley, als wir die engen, schwankenden Stufen hinaufgingen. »Diese alten Häuser wurden nicht wirklich nach gängigen Bauvorschriften gebaut.« Sie gab mir ihre Hand und ich testete jede Stufe, bevor ich sie betrat. Die Pastete balancierte ich mit der anderen Hand.
Ein etwa sechs Jahre alter Junge rannte aus der Vordertür und warf sich um Shelleys Taille. »Warum hast du so lange gebraucht? Wir warten schon den ganzen Tag auf dich.« Er sah sie böse an, dann entdeckte er mich. »Wer ist das?«
Wie immer in der Gegenwart von Kindern fühlte ich mich irgendwie aus dem Gleichgewicht und unsicher, wie ich mit ihnen umgehen sollte.
Shelley lachte ein tiefes, herzliches Lachen, das mich überraschte. »Ich wollte meinen Laptop holen, stattdessen habe ich eine Streunerin aufgelesen. Sieht aus, als ob ich dieses Wochenende nicht viel arbeiten werde.« Ich konnte mir vorstellen, dass Shelley zu Hause genauso ein Workaholic war wie in der Bank. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich an diese sanftere Seite von ihr gewöhnen könnte, dass sie Streuner mit nach Hause brachte und kleine Jungs bemutterte. »Rand, das ist DaShawn. DaShawn, das ist Rand.«
Der Junge beäugte mich immer noch argwöhnisch und ich war froh, dass ich die Pastete in der Hand hielt. Ich gab sie ihm. »Die ist für dich.« Seine Augen wurden groß wie Schokoküsse, als der weiche Kürbisduft in seine Nase stieg.
»Sie ist für alle«, rief Shelley, als er mit der Pastete ins Haus rannte. »Guter Zug«, sagte sie zu mir. »Der Weg zu seinem Herzen führt direkt über die Pastete.«
Wärme schlug mir entgegen, als wir Shelleys Haus betraten. Ihr Mann, drahtig und energiegeladen, kam mit einem Telefon am Ohr aus der Küche gelaufen. Er legte auf und sagte zu Shelley: »Gott sei Dank bist du endlich da. Ich glaube, ich habe den Truthahn zu Holzkohle verbrannt.«
»Wie kannst du etwas in einem Bratschlauch verbrennen?«, wollte Shelley wissen, während sie ihren Mantel auszog und mich vorstellte. »Übrigens, das ist unser Gast, Rand. Ich habe sie auf dem Parkplatz der Bank mit einer Pastete gefunden. Rand, das ist mein Mann James.«
»Sie ist eine Streunerin«, bemerkte DaShawn, der sehr enttäuscht dreinblickte, als sein Dad ihm jetzt die Pastete aus der Hand nahm. »Och Mann.«
»Später.« James warf ihm spielerisch einen warnenden Blick zu. An mich gewandt sagte er: »Nett, dich kennenzulernen, Streunerin Rand.«
»Nur Rand, danke.« Ich warf Shelley einen fragenden Blick zu. »Sind Sie sicher, dass ich hier nicht störe?«
»Und wenn es so wäre, wie wolltest du von hier wegkommen? Du hast wohl vergessen, dass dein Auto vor der Bank steht.«
»Also sitzt du fest«, stellte James fest. »Hängst du öfter auf dem Bank-Parkplatz rum oder ist das nur so ein Thanksgiving-Ding?«
Mein Gesicht lief rot an. Vielleicht war das hier doch keine so gute Idee.
»Lass sie in Ruhe, James«, sagte Shelley spitz. »Sie ist es nicht gewohnt, dass du ständig auf ihr rumhackst.« Als ob Shelley nicht schon genug auf mir rumhackte.
»Nicht so wie du, Babe.« Er gab ihr einen lauten Schmatzer.
Ich musste es eigentlich echt nicht haben, meine Chefin und ihren Mann knutschend in der Küche zu sehen, obwohl es eine willkommene Abwechslung zu der frostigen Stimmung zu Hause war. Also schlug ich mir in bester schauspielerischer Manier die Hände vor die Augen und kreischte: »Uuuuh! ZVI, Leute! ZVI!«
Shelley verdrehte die Augen. DaShawn fragte: »Was ist ZVI?« Plötzlich musste James ganz dringend den Truthahn checken.
»Zu viele Informationen«, flüsterte ich DaShawn zu. Er nickte wissend.
»Toll«, sagte Shelley lang gezogen. »Das ist genau das, was er braucht: noch mehr Munition.«
Eine Viertelstunde später hatten wir uns alle in ihr olivfarbenes Esszimmer gequetscht und gaben uns Mühe, weder grüne Bohnen noch Soße auf die tomatenrote Tischdecke zu kleckern. Die sah aus, als hätte sie bereits genug Essensschlachten hinter sich, vor allem auf DaShawns Seite.
»Du musst viel Soße auf den Truthahn tun. Er ist trocken wie Sägemehl.« Shelley schaufelte Essen auf DaShawns Teller, während James eine große Show daraus machte, den Truthahn zu schneiden. Es war kein
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