Erzaehl mir ein Geheimnis
Dreigestirn eilte.
»Und dafür hast du deine beste Freundin fallen lassen?«
War das die Stimme meines Gewissens? Kaum. Es war Essence.
Ihr Oberteil, ein verwaschener, kastanienbrauner, rissiger Siebdruck eines Vogels in einem Käfig mit messingfarbenen Nähten … ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, an dem wir es gekauft hatten. Sie hatte ihr Babysitter-Geld gespart, weil sie etwas Cooles zu der Achtklässler-Versammlung anziehen wollte. Wir saßen in der ersten Reihe und hofften, Erik Anderssen würde eine von uns bemerken, welche, das war egal.
Ein Teil von mir schämte sich für sie, wie sie so dastand, in diesem zerschlissenen alten T-Shirt und Jeans. Das Ding hätte schon vor langer Zeit zusammen mit ihrer blauen Strickjacke seinen Weg in den Altkleidersack finden müssen.
Jetzt, da ich sie nicht mehr durch Delaneys Augen wahrnahm, bemerkte der andere Teil von mir, dass sie sich verändert hatte. Sie sah irgendwie hübsch aus.
»Weißt du, eine Entschuldigung würde dich nicht umbringen.« Der winselnde Unterton in ihrer Stimme war verschwunden. Jetzt war ihre Stimme einfach nur kalt.
»Eine Entschuldigung?«
Die anderen Schüler bahnten sich ihren Weg um uns herum und verteilten sich in ihre Klassenzimmer, bevor es klingelte. Keiner bemerkte die Streberin und die Ausgestoßene, wir waren Schnee von gestern.
»Ja, eine Entschuldigung. Ich weiß, dass ich nicht so cool bin wie Delaney und ich werde es wahrscheinlich auch niemals sein. Aber wir waren Freundinnen, Rand. Willst du wissen, wie ich mich gefühlt habe, als du angefangen hast, mit Delaney rumzuhängen? Ja, ich habe mich für dich gefreut. Ich war froh am Rande dazuzugehören, aber am meisten habe ich mich für dich gefreut, weil ich wusste, dass du es dir gewünscht hattest. Ich dachte, es würde dir helfen, das mit Xanda besser zu verarbeiten … aber stattdessen bist du fies geworden.«
Sie wartete auf eine Antwort.
Ich hätte ihr Friedensangebot annehmen und sagen können, dass es mit leidtat, Delaney ihr vorgezogen zu haben. Ich wollte es sagen. Zehn Jahre Freundschaft und Erinnerungen drängten mich dazu, eine Entschuldigung auszusprechen, genauso, wie ich es eben ganz einfach bei Chloe gemacht hatte. Essence war mal meine Freundin, meine idiotische, nervige und ehrliche beste Freundin.
Aber plötzlich erinnerte ich mich an den Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie von der Party wegraste, mit dem Wissen um mein Geheimnis. Sie konnte es sich leisten, nett zu sein, jetzt, da sie hatte, was sie wollte.
Bislang hatte Lexi ihre Treterei hauptsächlich auf nachts beschränkt. Als sie sich aber gerade jetzt bemerkbar machte, brodelten alle Gefühle, die ich seit Monaten unterdrückt hatte, in mir hoch.
»Du hast es mir heimgezahlt und ich denke, wir sind jetzt quitt«, sagte ich.
»Wovon redest du?« Die Gänge waren jetzt leer, nur sie und ich standen noch im grauen Licht des Korridors.
»Wie wär’s hiermit?« Ich zeigte auf meinen Bauch und mein Herzschlag beschleunigte sich. Lexi bewegte sich, machte ihre Rückenschwimmübungen und stieß überall in mir an. »Ich habe keinen Freund, keine Freunde, eine Schwangerschaft, die ich nicht unbedingt wollte … und alles nur, weil du es nicht erwarten konntest, diese brandheiße Neuigkeit der Gebetsgruppe zu erzählen.«
Essence sah mich fassungslos an. Als ob ich zu blöd wäre, darauf zu kommen, dass sie diejenige war, die die Neuigkeit von einem Ende zum anderen verbreitet hatte, bis sie schließlich bei meiner Mutter gelandet war.
»Ich habe dich vielleicht hängen lassen, aber du hast mir alles kaputt gemacht«, fuhr ich fort. »Für die Hauptrolle? Für ein Empfehlungsschreiben von meiner Mutter für das Cornish? Ja, ich würde sagen, du hast es mir heimgezahlt. Und ja, es tut mir leid, dass wir getrennte Wege gegangen sind und es tut mir leid, dass ich auf der Party Bier über dich geschüttet habe, aber du hättest nicht jedem von meiner Schwangerschaft erzählen müssen. Es wäre besser gewesen, wenn du mir ins Gesicht gesagt hättest, dass du mich hasst.«
»Das Gleiche gilt für dich.« Essence sah eher traurig aus als wütend. »Ich kann nicht glauben, dass du denkst, ich würde so etwas tun. Delaney würde das tun. Vielleicht würdest du so etwas tun, aber nicht ich. Eigentlich bin ich froh, dass es jetzt raus ist. Jetzt weiß ich, was für ein Mensch du wirklich bist. Das muss ich mir nicht geben.« Ihre Stimme brach, und sie blinzelte ein paar Tränen weg.
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