Erzaehl mir ein Geheimnis
»Nichts für ungut, aber ich bin durchaus in der Lage, selbst Rollen zu bekommen. Ich muss dich nicht verletzen, nur um die anderen auf mich aufmerksam zu machen. Wenn du wissen willst, wer es deiner Mutter gesteckt hat, dann frag doch mal deine angeblichen Freunde .«
Plötzlich erinnerte ich mich: Hast du es ihm gesagt? , hatte ich Delaney gefragt. Natürlich nicht, aber Essence … Ich glaube, sie hat uns gehört …
»Ich muss zur Theaterprobe. Das Vorsprechen für Guys and Dolls ist nächste Woche.«
Schnell wischte sie sich mit ihrem blauen Ärmel übers Gesicht, drängte sich an mir vorbei und rannte in Richtung Theater. Ich stand da und überlegte, ob ich gerade einen ganz furchtbaren Fehler gemacht hatte.
»Viel Glück«, rief ich ihr nach. Aber sie war schon weg.
24
»Ich glaube nicht, dass ich zu Thanksgiving hier sein werde«, eröffnete ich meinen Eltern nach der Probe. Nachdem ich meine Mutter die letzten zwei Stunden dabei beobachtet hatte, wie sie versuchte, Essence und die anderen Schauspieler zu einer perfekten Familie zu formen, hatte ich beschlossen, mich an Thanksgiving lieber alleine für mein derzeitiges Leben zu bedanken.
»Hm?«, grunzte mein Dad und starrte weiter in seine Suppe.
Mom stocherte weiter in ihren Thai-Nudeln mit Hühnchen herum. »Und wo willst du hingehen?«
Meine Möglichkeiten waren beschränkt. Die Cafeteria in der Schule? Die Suppenküche der Heilsarmee? Unter die Universitätsbrücke? »Na ja«, log ich, »Delaney hat ein paar Leute zusammengetrommelt, um Essen auszuteilen, im Obdachlosenheim für Teenager und ich dachte, es würde dir nichts ausmachen …«
In Wirklichkeit würden Delaney und ihr Dad ihr Thanksgiving à la mode français im Rover’s feiern, dem exklusivsten französischen Restaurant der Stadt, und das ganz sicher mit Chloe im Schlepptau.
Essence würde Thanksgiving mit ihren Eltern, Großeltern und so vielen Verwandten verbringen, wie ihre Mutter in das anderthalbstöckige Häuschen quetschen konnte. Ihre Mom war bestimmt dankbar, dass ich nicht dabei war.
Und Kamran … da Big Boss am Feiertag geschlossen haben würde, hatte er vielleicht beschlossen, zu Hause mit persischem Truthahn-Pilaf zu feiern und Vorbereitungen für seinen Besuch auf dem MIT-Campus zu treffen. Vielleicht war er aber auch bei Delaney.
Mein Vater sah mich fragend an. »Ich habe Delaney in letzter Zeit nicht oft hier gesehen. Ich dachte, seit der Schwangerschaft …« Er ließ den Satz unfertig im Raum stehen, wahrscheinlich, weil er sich nicht mit meinem hormonell bedingt empfindlichen Zustand auseinandersetzen wollte. »Es freut mich, dass ich mich geirrt habe.«
»Wunderbar.« Mom lächelte und hatte anscheinend vergessen, dass sie mir für den Rest meines Lebens Hausarrest verpasst hatte. »Wir können am Donnerstagmorgen eine Pastete backen, die du mitnehmen kannst.«
Meine Mutter war keine sonderlich gute Köchin, aber sie konnte eine hammermäßige Pastetenkruste backen. Sie bestand darauf, zwei Pasteten zu machen: eine für das Obdachlosenheim und die andere für sich und Dad. Sie wollte sie zu dem Tofu-Truthahn servieren, den sie eigenhändig backen wollte, und zwar mit Fertig-Kartoffelpüree, Dosen-Preiselbeeren und Mirkrowellen-Erbsen. Ich war beinahe stolz auf meine Mutter, dass sie so eine Küchenherausforderung meistern wollte.
Wenn ich diese Pastete schon unter einer Brücke essen musste, wollte ich wenigstens frischen Kürbis, nicht den aus der Dose. Ich kratzte das gekochte Fruchtfleisch aus dem Kürbis heraus und gab es in die Schüssel, die neben Mom stand. Wir redeten nicht. Nur das Geräusch meines Löffels war zu hören oder das Pfff , als meine Mutter Mehl in die Rührschüssel schüttete. Es war das erste Mal seit Wochen, abgesehen von den Proben oder unterwegs im Auto, dass wir uns zusammen in einem Raum aufhielten.
»Wie läuft es in der Schule?«, fragte sie irgendwann und starrte stur in ihre Schüssel, während sie das Mehl abmaß und siebte.
»Prima.« Kratz.
»Und auf der Arbeit?«
»Gut.« Kratz.
Sie drückte den Teig in die Pastetenform, während ich das Kürbisfleisch, Zucker, Gewürze und Milch mischte. Sie beobachtete mich beim Rühren und ich ahnte, dass sie noch mehr Fragen auf Lager hatte.
Um dem zu entgehen, gab ich mein überzeugendstes Auf-Kommando-Gähnen zum Besten. Extreme Erschöpfung, verursacht durch die sehr reale und zehrende Aufgabe, ein neues Leben in mir wachsen zu lassen. »Ich glaube, ich lege mich noch
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