Erzaehl mir ein Geheimnis
Verkünden des Urteils.
Dad schnellte herum und starrte mit zusammengepressten Lippen suchend in die Dunkelheit. »Wer ist da?«
»Ich bin’s nur, Dad.« Es war seltsam, mit ihm in dieser Kirche allein zu sein. Ich winkte ihm zu und wollte gehen.
»Warte! Rand?«, rief Dad und kam ein Stück auf mich zu. »Ist deine Mom bei dir?«
»Nein«, sagte ich und blickte hinter mich in Richtung Eingangshalle. »Ich habe früher Feierabend gemacht und bin hergekommen. Mom kommt sicher jeden Moment, um die Proben vorzubereiten.«
Dad kam langsam auf mich zu, als wäre ich eine Art seltsames, unberechenbares Tier. Tatsächlich fühlte ich mich auch ein bisschen so, mit diesen ganzen Veränderungen in meinem Körper in letzter Zeit.
»Wie geht … Wie geht es dir? Wie geht es dem Baby?«, fragte er, immer noch sehr vorsichtig auf mich zukommend.
»Alles bestens«, antwortete ich und legte instinktiv die Hand auf meinen Bauch. »Tritt mich gerade.«
»Wow, es tritt. Ich weiß noch, als deine Mutter mit Xa…« Er hielt inne, suchte eine neue Richtung, als wenn er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen wäre. »Als sie mit dir schwanger war. Du hast immer viel getreten, vor allem nachts. Ist es ein … weißt du, was es wird? Was ich meine ist, hast du dir schon einen Namen überlegt? Ich bin sicher, deine Mom …«
»Wart mal«, unterbrach ich ihn. Hatte es ihm keiner gesagt? Natürlich wusste er es nicht. Ich hatte es ja nur Nik erzählt.
Er zuckte mit den Schultern und stieß gegen eine der Bänke. Dann lachte er leise, als wäre es keine große Sache. »Niemand erzählt mir irgendetwas über diese Dinge.«
»Ich habe es niemandem erzählt.«
Ich verringerte den Abstand zwischen uns und suchte dabei in meiner Mappe nach dem Ultraschallbild. Die Formen und Schatten um Lexi herum würden uns ein kleines Fenster in ihre dunkle, weiche und sichere Existenz öffnen.
»Irgendwo hier drin habe ich ein Bild …«
Ich blätterte die Mappe durch.
Innerhalb von Sekunden hatte sich die Lücke zwischen uns geschlossen. Es war komisch, aber er wirkte aus der Nähe viel größer, so groß wie er mir als Kind immer vorgekommen war. Er roch nach Sägespänen und Holzleim mit einem Hauch von Seife. Seine Haut sah älter und trockener aus, als ich sie aus meiner Klein-Mädchen-Zeit in Erinnerung hatte. Er betrachtete mich auf die gleiche Weise wie ich ihn, als hätte er mich seit Jahren nicht gesehen und nähme nun alles auf einmal auf. Ich war auch größer. Mein Gesicht war weniger kindlich. Die Schwangerschaft. Sein plötzliches Interesse fühlte sich befremdlich an und ich knibbelte verlegen an meinen Händen herum.
Ich durchwühlte meine Mappe und drehte ein Blatt nach dem anderen um. Ich suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen des Wiedererkennens. Ich hoffte, dass er die Geheimnisse, die ich aus meinem Herzen auf diese Blätter geschüttet hatte, verstehen würde. Aber ich sah nur das Staunen in seinem Gesicht, als er mit den Augen den Linien meiner Zeichnungen folgte, als könne er dadurch meinem Leben folgen.
Ich wollte ein Porträt von Xanda überblättern, aber seine Hand hielt mich davon ab. Das Bild, das ich von Dylan mitgenommen hatte, verrutschte. Sein Blick verweilte kurz auf Xandas Gesicht, dann fragt er: »Wo hast du das her?«
»Von jemandem, der sie kannte«, murmelte ich.
Dann ließ er los und ich blätterte weiter, bis ich zu der Seite mit dem aufgeklebten Ultraschallbild kam. Das Erste, was er sagte, war: »Wow.« Das Wort verweilte in stiller Ehrfurcht im Raum. »Wow«, sagte er noch einmal.
»Ja.« Ich lächelte. Niemand außer mir hatte die leiseste Ahnung, wie unglaublich dieses Baby wirklich war. Und noch weniger, was für ein Geschenk sie von Xanda war. »Das ist Lexi.«
Für eine Sekunde wurde er blass. »Lexi? Sie heißt Lexi? Wie in Alexandra?«
»Ja.«
Der Name hing zwischen uns und für einen Moment hielten wir beide die Luft an. Mein Dad zeichnete die Umrisse ihres Gesichts und ihre zerbrechlichen Knochen mit seinem Finger nach. Seine Berührung war so sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.
»Was denkst du?«
»Sie ist wunderschön.« Er legte eine Hand auf meine Schulter. Seine raue Haut blieb an meinem flauschigen roten Pullover hängen, den ich in Xandas Sachen gefunden hatte. Das Eis zwischen uns war gebrochen und es war, als ob er versuchte, die Kluft zwischen uns so schnell wie möglich zu schließen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, er holte tief Luft und dann,
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