Erzaehl mir ein Geheimnis
soll ich denn da denken?«
»Wenn du mir nur eine Chance geben würdest …« Ich würde dir sagen, dass es nie jemanden außer dir gegeben hat.
»Ich habe dir eine Chance gegeben. Ich dachte, du wärst anders, Miranda. Ich muss jetzt los.«
Ich war völlig durcheinander, als ich auf der Arbeit ankam. Mit Nik könnte ich reden. Könnte ich auch mit Shelley reden? Seit einer Woche hatte ich versucht, sie mit Sprüchen wie »Ich hab mir gestern diesen tollen Film, Femme Nikita, angesehen« aus der Reserve zu locken.
»Mmm-hmmm.«
Oder: »Hey Shelley … wie gefällt dir der Name Nicole? Nik als Spitzname?« Sie runzelte nur die Stirn. Ich traute mich nicht, zu erwähnen, dass ich Baby-Websites las, oder sie zu fragen, ob sie schon mehr als eine Fehlgeburt hatte. Falls ich mich irrte, würde ich sie nur wieder daran erinnern.
Irgendwann fragte sie: »Gibt es etwas, über das du mit mir reden möchtest, Rand?«
Danach beschränkte ich mich auf das Ablegen und Schreddern von Papier und versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen.
Die Uhr anzustarren bewirkte auch nicht, dass meine Mom schneller kam, also überlegte ich, mir noch etwas zu trinken zu holen. Mein Bauch machte es mir nicht leicht, mich aus den weichen Kissen in eine stehende Position zu hieven, ohne halb nackt in der Eingangshalle zu stehen. Als ich mich bückte, um nach meiner Tasche zu greifen, hörte ich eine Stimme, oder eher ein leises Pfeifen, hinter mir.
Galt das mir?
»Nette Beine«, sagte die Stimme: männlich, sinnlich, mit einem Hauch von einem Akzent. Vertraut, aber nicht greifbar. Ich war nicht mehr beweglich genug, um zu flüchten, war mir aber im selben Moment auch nicht sicher, ob ich das überhaupt wollte. Egal, ich konnte hier nicht rumstehen und ihm noch ewig mein Hinterteil präsentieren. Wer wusste schon, ob da ein Schnuckel oder ein Widerling hinter mir stand.
Ich drehte mich um, oder besser schob mich herum. Ich war zu neugierig, um es nicht zu tun.
Ich kannte ihn.
Andre.
Im Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke und ich sah, dass sein Gesicht älter und verbrauchter aussah. Aber er war immer noch der gleiche Junge, den mein Dad vor so langer Zeit ins Haus gebracht hatte. Fast sechs Jahre war das her, und ich konnte mich dennoch an jedes Detail erinnern.
Er kniff die Augen zusammen. »Kenne ich dich nicht?«
»’tschuldigung«, flüsterte ich, aber er ließ mich nicht vorbei und hielt meinen Arm fest. Sein Geruch stieg mir in die Nase, der Geruch, an den ich mich so gut erinnerte. Würzig und nach Moschus roch er, der Geruch, der immer Xandas Haare durchdrungen hatte und der mich jetzt beinahe zum Weinen brachte.
***
Vor Dylans Halloweenparty hatte ich Andre das letzte Mal an meinem zwölften Heiligabend gesehen. Am Abend vorher war ich über Moms und Xandas weihnachtlichem Geschrei eingeschlafen, in dem es darum ging, dass Xanda die Familie für »diesen Jungen« im Stich lassen wolle.
Es war faszinierend, wie Xanda sich unseren Eltern widersetzte, um mit ihm zusammen zu sein. Sie musste Mom versprechen, Heiligabend zum Essen da zu sein und mit uns zur letzten Weihnachtsaufführung zu gehen. Es war das Jahr, in dem Xanda sich geweigert hatte mitzuspielen und Mom mir meine erste und letzte Hauptrolle gegeben hatte.
Xanda tauchte zum Weihnachtsessen mit Andre im Schlepptau auf und sah einfach zu cool aus, als dass sie sich hätte unwohlfühlen können. Sie trug einen Rock, der so kurz war, dass ich ihren Slip sehen konnte, wenn sie Andre umarmte.
Das Geschrei ließ nicht lange auf sich warten. »Zieh sofort diesen Rock aus und was Anständiges an!«, befahl meine Mutter. Ich konnte es kaum erwarten, bis ich auch so was Unanständiges anziehen konnte. Während mein Dad Andre ansah und mit den Augen rollte, versuchte ich mir jedes Detail von Xandas Revolte einzuprägen.
»Sofort?«, fragte Xanda.
»Sofort«, echote Dad.
»Alles klar.« Ein dramatischer Ruck und Xanda hielt ihren Rock in der Hand. Der Slip entblößte ihren runden Hintern. Andre grinste und ich hatte das Gefühl, dass er diesen Anblick schon öfter genossen hatte.
Und dann war die Hölle los. Als Erstes flog der Rock ins Feuer und verbrannte mit zischender Endgültigkeit. Als Nächstes riss meine Mutter die Decke von der Couch und versuchte, sich damit auf Xanda zu werfen. Die wich ihr aus und ging hinter Andre in Deckung.
»Geh mir aus dem Weg«, knurrte Mom, aber Andre bewegte sich nicht, während Xanda hinter ihm einfach nur grinste.
Und
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