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Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
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Kirchenfenster würden vom Dämmerlicht erleuchtet sein und in ihren bunten Fragmenten würde man versteckte Bilder erkennen können.
    Wenn ich lange genug suchte, könnte ich vielleicht sogar Xanda in ihnen entdecken.

27
    Ein paar Minuten später fuhr ich auf den Parkplatz der Kirche. Er war leer, bis auf ein paar Baustellenfahrzeuge und Dads Geländewagen.
    Ich parkte um die Ecke, denn irgendwie kam es mir fast verboten vor, meinem Dad zu begegnen, ohne dass Mom dabei war, um aufzupassen – als ob er irgendwie an dem derzeitigen Desaster schuld wäre.
    Ich hörte meinen Vater, bevor ich ihn sah. Die hundert Jahre alten Türen führten in ein Backsteingebäude. So nass und eiskalt, wie es draußen war, so trocken und dennoch kalt war das Gemäuer von innen. Schon in der Eingangshalle war Dads Lachen zu hören. Ich erkannte erst, dass es seins war, als ich den Altarraum betrat. Dad stand mit zwei jungen Männern auf der Bühne, die ich zuvor noch nie gesehen hatte, es mussten Bauarbeiter sein. Zur Kirche gehörten sie nämlich definitiv nicht, denn als ich in die hinterste Bankreihe schlüpfte, fiel eine Kulisse auf der Bühne um und einer der Jungs fluchte, wie Xanda es nicht besser gekonnt hätte.
    Dad lachte schallend. Mom wäre entsetzt gewesen. Ich war fasziniert.
    Das war mein Dad, wie ich ihn seit Xandas Tod nicht mehr erlebt hatte. Ein entspannter, fröhlicher und auch dann noch lachender Dad, wenn jemand eine neue und kreative Variante für das F-Wort gefunden hatte. Fast rechnete ich damit, dass Andre gleich um die Ecke kommen würde.
    Einer der Jungs stellte die umgestürzte Wand wieder auf, der andere schraubte sie fest. Der fahrbare Sockel, den mein Dad für die austauschbaren Kulissen entworfen hatte, konnte die Bühne innerhalb von Sekunden von einem Wohnzimmer in ein Schlachtfeld verwandeln. Das war wohl eine Fähigkeit, die er zu Hause gelernt hatte.
    Ein Mädchen kam aus dem Seitenflügel. Sie trug einen Werkzeuggürtel, farbverschmierte Jeans und die gleichen Stiefel wie die Jungs. Sie war sicher nicht älter als zweiundzwanzig, so alt wie meine Schwester heute wäre, und sie schleppte eine Spule Elektrodraht über die Bühne. Mein Dad lächelte sie an und klopfte ihr auf die Schulter. Das hatte er bei mir noch nie getan.
    Ich saß bestimmt über eine Stunde im Dunkeln in der letzten Bankreihe und sah ihnen beim Bauen zu. Sie rissen Witze über alles Mögliche und bemerkten mich nicht. Ich war wie versteinert von diesem Vater, den ich so nur aus meiner Kindheit kannte. Ihn mit diesem Mädchen auf der Bühne zu sehen, war, als sähe ich mein eigenes Leben, wie es hätte sein können, wenn ich nur weit genug zurückgehen und noch mal von vorne anfangen könnte.
    Sie nahm das Jesuskind aus der Krippe und warf es Dad zu, als wäre es ein Football. Er hielt das Baby kurz in den Händen, bevor er es vorsichtig zurücklegte. Dann sagte er mit erhobenem Zeigefinger: »Leg dich nicht mit Jesus an.«
    Ich sah ihm zu, bis die Sonne hinter den Buntglasfenstern untergegangen war, dann fingen sie an zusammenzupacken. Mir wurde klar, dass ich hier wegmusste, bevor er mein Auto draußen sah. Und vor allem, bevor meine Mutter hier aufkreuzte.
    Dad hatte wohl den gleichen Gedanken wie ich, denn zusehends verwandelte er sich von dieser neuen, geheimen Persönlichkeit zurück in den Dad, den ich kannte – rechtzeitig, damit meine Mutter ihn nicht höchstpersönlich zurückverwandeln musste.
    Er ließ die Schultern hängen und machte einen zerstreuten Eindruck, während seine Truppe alles zusammenpackte. Er starrte alle paar Sekunden erst auf seine Uhr und dann wieder auf den Hintereingang, bis seine Leute die Kirche verließen. Im Vorbeilaufen klopften sie ihm auf den Rücken und einer sagte: »Bis demnächst.« Dad lächelte geistesabwesend und sah sich noch mal genau um, nachdem der letzte seiner Arbeiter die Kirche verlassen hatte. Er blickte in meine Richtung, konnte mich im grellen Licht der Bühnenscheinwerfer aber nicht sehen. Er wirkte niedergeschlagen, vollkommen gebrochen.
    Schleichen gehört normalerweise nicht zu den Talenten einer Schwangeren, aber ich machte das Beste daraus. Kein leichtes Unterfangen angesichts der knarrenden, uralten Dielen und dieser Türen, die mit der Schwere von Jahrhunderten auf- und zuschwingen. Alles lief gut, bis ich mit meinem Absatz an der Tür hängen blieb, und der dumpfe Schlag von Holz auf Holz in dem großen Raum widerhallte wie der Hammer eines Richters beim

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