Erzaehl mir ein Geheimnis
dann tat Mom etwas, dass uns alle schockierte. Schnell wie der Blitz packte sie Xanda an den Haaren und zerrte sie in Richtung Tür. Wie auf ein Stichwort öffnete Dad die Tür und Mom warf Xanda hinaus in die eisige heilige Nacht.
Dann drehte sie sich zu Andre um. »Raus hier.«
Er sagte nichts, aber als er ging, murmelte er, sie würde ewig in der Hölle schmoren.
Als alles vorbei war, nahm mich meine Mutter weinend in die Arme und küsste mich auf den Kopf.
»Mach so etwas niemals, Mandy«, flüsterte sie. »Niemals.«
Als ich nach oben ging, um mich umzuziehen, hörte ich, wie Xanda durch das Badezimmerfenster kletterte und ihre Sachen durchwühlte. Die Gitter vor ihrem eigenen Fenster waren für sie nicht mehr als ein vermeidbares Hindernis. Ein paar Minuten später war alles still.
Ich sah sie unten auf der Straße. Andre sah hoch. Selbst aus dieser Entfernung durchbohrte mich sein Blick. Ich dachte darüber nach, dass ich die beiden vielleicht nie mehr wiedersehen würde, als ich den Impala ins Tal fahren hörte.
***
Letztendlich war es nicht meine Gestalt, die mich verriet. Es waren meine Augen. Er sah mich an und er wusste es.
»Ich kenn dich. Du bist Xandas kleine Schwester.« Er begutachtete meinen Bauch. »Nun ja, zumindest warst du mal klein.«
Ich legte instinktiv die Arme um meinen Bauch. Mir blieb die Luft weg unter seinem forschenden Blick.
»Mandy! Mandy, stimmt! Wie Xanda, aber mit Mmmm.«
»Rand. Ich nenne mich jetzt Rand.« Ich hatte so lange von diesem Moment geträumt. Davon, mit dem Jungen zu flirten, der meine Schwester geliebt hatte und der mit ihr durchbrennen wollte, wäre sie nicht gestorben.
In meinen Träumen allerdings fand diese Begegnung nicht unter Neonröhren in der Eingangshalle einer Bank statt, mit der Angst im Nacken, dass meine Mutter jeden Augenblick hereinstürmen könnte.
»Rand. Wie ich sehe, war einer randy auf dich, hm?«
»Ja, mein …« Mein was? Mein Exfreund, der wie er sein sollte, mit dem Unterschied, dass am Ende doch alles anders lief als geplant?
»Lass gut sein«, sagte ich lahm.
»Hat nicht funktioniert?«
»Nein. Hat nicht funktioniert.« Es war das erste Mal, dass ich es laut aussprach.
Er griff in seine Hosentasche und zog eine Visitenkarte heraus. Darauf stand Andre Velasquez, Gelegenheitsjobs. Unter seinem Namen ein Postfach und eine Handynummer. Ich hielt sie wie einen Schatz in meiner Hand, bis eine allzu vertraute Version meines Namens das Gespräch abrupt unterbrach.
»Mandy?«
Meine Mutter. Hier. Um mich abzuholen. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie Andre auch erkannt.
Ich stopfte die Karte in meine Hosentasche. Ein Überschuss an Adrenalin pumpte durch meinen Körper, ausgelöst durch Andre und die Anwesenheit meiner Mutter. Ich schnappte mir meinen Mantel und eilte zu ihr.
Shelleys Blicke folgten mir. Für sie ein Grund mehr zu denken, ich sei ein Wrack .
Mom sagte kein Wort. Sie gab nur einen gezielten Laserschuss in Richtung Auto ab, um es zu öffnen. Ich duckte mich ins Auto, als wären mir gerade meine Rechte vorgelesen worden. Die Türen schlugen mit einer erstickenden Endgültigkeit zu.
30
Das Gesicht meiner Mom war ausdruckslos und ihr sturer Blick bohrte Löcher in die Straße. Aber ich wusste es besser.
Es war schon dunkel, fast die längste Nacht des Jahres. Die Scheibenwischer quietschten auf dem Weg zur Kirche im Sekundentakt hin und her.
Sie sagte nichts. Ich versuchte mir vorzustellen, was in ihrem Kopf vorging, nach dem, was sie gesehen hatte. Mich, wie ich mit dem Jungen sprach, der meine Schwester getötet hatte.
Vielleicht lag ich falsch, vielleicht hatte sie ihn nicht erkannt. Und falls doch, konnte ich sie vielleicht davon überzeugen, dass ich ihn nicht erkannt hatte. Vor fünf Jahren war ich nur ein zwölfjähriges Kind.
Ich hütete die Visitenkarte in meiner Tasche wie ein kostbares Ticket in die Zukunft.
Ein Bild schoss mir durch den Kopf, ein Junge, ein Mädchen und ein grüner Impala, auf dem Weg nach L. A. Wenn er nicht mit ihr dorthin konnte, vielleicht würde er mich mitnehmen? Und wenn wir dort ankämen, würde er mir vielleicht erzählen, was wirklich mit meiner Schwester passiert war.
Derweil drohte der Vulkan in Person meiner Mutter zu explodieren. »Hast du gedacht, ich würde es nicht herausfinden?«
Ich wollte ihr antworten, aber die nächste Attacke verschlug mir die Sprache.
»Triffst du dich mit ihm?«
Ein seltsames Flattern machte sich in meinem unteren
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