Erzaehl mir ein Geheimnis
durchwachten Nächten mit Lexi und von nichts aufrechtgehalten als abgekauten Fingernägeln und Adrenalin. Ich trug Xandas flauschigen, roten Pullover, um ein bisschen wie eine erwachsene Studentin auszusehen. Andererseits musste ich mich gar nicht sonderlich anstrengen, ich sah auch so schon aus, als hätte ich bereits ein ganzes Leben gelebt.
Ich rückte meine Tasche ein bisschen von meinem Bauch weg, immer noch nicht daran gewöhnt, einfach nur ich allein zu sein. Manchmal spürte ich Phantom-Babytritte, wenn ich schlief – bis Lexi einen Laut in der Dunkelheit von sich gab, Schreie, die sich anfühlten, als würden tausend winzige Stromstöße durch mein Nervensystem rasen. In all den Fantasien, die ich vor ihrer Geburt von ihr hatte, war ich nie auf die Idee gekommen, wie unsichtbar und zugleich qualvoll die Verbindung zwischen uns sein würde. Das und auch die Tatsache, dass Lexi überhaupt kein Zeitgefühl hatte und es ihr egal war, zu welcher Uhrzeit sie schlief oder wach war. Und wach war sie vor allem nachts.
So ist das, wenn man ein Kind hat , würde Mom dazu sagen. Vergiss nicht, dass du dich dafür entschieden hast. Selbstgefällig. Aber nicht so selbstgefällig, dass sie mir nicht ein paar Sekunden Mitleid geschenkt und manchmal, nach einer besonders schlaflosen Nacht, Pancakes zum Frühstück gemacht hätte.
Im Krankenhaus war es für mich sicher nicht leicht gewesen, aber Lexi nach Hause zu bringen, war noch einmal eine ganz andere Sache. Ich musste sie alle zwei Stunden füttern, damit sie kein einziges kostbares Gramm verlor. Ich musste auf Anzeichen von Gelbsucht achten und ständig ihre Atmung im Auge behalten, um auf den einen Atemaussetzer zu warten, der uns zurück auf die Intensivstation schicken würde.
Im Krankenhaus hatte ich Hilfe. Hier war ich auf mich allein gestellt. »Du bist jung und kannst ohne Weiteres ein paar schlaflose Nächte wegstecken«, hatte Mom gewitzelt. Nach zehn oder zwölf schlaflosen Nächten allerdings war es nicht mehr so witzig. Nach einem Monat kam es mir einfach nur noch feindselig vor. Dann wiederum verwirrte Mom mich, indem sie mich kurz und steif in die Arme nahm und sagte: »Warum legst du dich nicht ein bisschen hin? Ich passe so lange auf die Kleine auf.«
Nicht dass der dauerhafte Wachzustand meine Gefühle für Lexi schmälerte – du weißt, dass du jemanden wirklich liebst, wenn du freiwillig so viel Schlaf für ihn aufgibst.
Ein paar Minuten später traf Dad mit seinem verbeulten Pick-up ein, um mich zu meiner Besichtigungstour des Cornish College of the Arts zu fahren.
Er und Mom hatten noch viel aufzuarbeiten, aber zumindest versuchten sie es. Vor allem Mom versuchte es – sie tat, was sie vorher noch nie getan hatte. Sie kam auf uns zu und übernahm Verantwortung für ihr Verhalten, während wir ihr verziehen. Wir durchsuchten die vergessenen Ecken unserer Herzen, in denen seit Xandas Tod vor fünf Jahren niemand mehr aufgeräumt hatte. Glücklicherweise hasste Mom Unordnung, und ich denke, sie liebte meinen Dad mehr, als sie zugeben wollte. Genug, um auch in die dunkelsten Ecken ihres eigenen Herzens zu blicken.
»Hier, für dich«, sagte Mom und überreichte mir ein Erdnussbutter-Marmelade-Sandwich. Sie zog meinen Pullover gerade, zupfte einen Fussel ab und seufzte. »Viel Glück«, wünschte sie mir und drückte mich kurz.
Es war einer dieser seltenen Apriltage, an denen die Sonne zum Vorschein kommt und über Seattle und den angrenzenden Seen leuchtet.
»Mach dir keine Sorgen«, rief Mom mir nach, die Lexi wie einen Football in ihrem Arm hielt. »Ich pass gut auf die Kleine auf.«
Ich machte mir ungefähr fünf Minuten keine Sorgen, genügend Zeit, um in den Pick-up zu klettern, den Hügel hochzufahren und einen Panikanfall zu bekommen. Was, wenn etwas passierte, während ich weg war?
Dad lächelte wissend, drehte um und fuhr zurück. Ich wusste, was er mir mit diesem Lächeln sagen wollte. Du bist manchmal genau wie deine Mutter . Ich war froh, dass er es nicht ausgesprochen hatte.
Nachdem wir Autos getauscht, die Windeltasche gepackt und eine schreiende Lexi mit Kindersitz angeschnallt hatten, machten wir uns erneut auf den Weg.
Das Cornish College sah aus wie eine mittelalterliche Burg, wie es da auf einem der höchsten Hügel der Stadt thronte, mit dem Lake Union und der Innenstadt auf der einen und unzähligen Vororten, inklusive unsrigem, auf der anderen Seite. In dem unerwartet hellen Sonnenlicht konnte man von hier oben
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