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Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
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über die ganze sprudelnde und glitzernde Emsigkeit der Stadt blicken.
    Wir ließen die kalte Luft hinter uns und betraten das Gebäude durch riesige, altertümliche Türen, die in einen Irrgarten aus Fluren und Korridoren führten. Ich erkannte sofort, warum Essence unbedingt hier studieren wollte, und dachte, ich sollte es auch tun: Es war wie eine einzige riesige Theaterprobe. In den Gängen herrschte hektische Eile, Gespräche und Gelächter hallten von den Wänden wider, Studenten waren unterwegs zu ihrem Zeichenunterricht oder zu Diskussionsrunden im Garten, und auf den öffentlichen Plätzen lümmelten Grüppchen herum.
    »Das hier ist ein faszinierendes College«, erzählte mir der Student am Infoschalter, während er mir einen Stapel Formulare aushändigte. »Wenn du hier studierst, das kann ich dir versichern, wird sich dein Leben verändern.«
    Meine Leben hatte sich schon dermaßen verändert, und es veränderte sich weiterhin auf drastische und unvorhersehbare Weise.
    Als ich ein paar Wochen zuvor Kamran angerufen hatte, hatte er schon mitten im ersten Klingeln abgenommen. »Miranda«, sagte er. »Ich habe auf deinen Anruf gewartet.«
    Es war, als ob die Zeit und die Kluft, die in den letzten neun Monaten zwischen uns entstanden war, sich auf diesen einen Moment reduzierte, kein perfekter Moment, aber rührend und vertraut und echt.
    »Es tut mir leid, dass ich dich nicht angerufen habe«, sagte ich stotternd. Es gab so viel mehr zu sagen. Doch wie Essence schon festgestellt hatte, in meiner Familie sagte nie jemand die Wahrheit. Vielleicht war es für mich an der Zeit, damit anzufangen.
    Er holte Lexi und mich mit dem Auto seiner Eltern ab. Ich befestigte Lexis Babyschale auf dem Rücksitz, der sauber und nach neuem Leder und nach dem Sandelholz-Aftershave seines Dads roch. Kamran ging auf Abstand, als ob seine bloße Anwesenheit Lexi zerbrechen könnte. Ich wusste es besser. Egal wie klein und schwach sie wirkte, in ihrem Inneren war sie härter als Stahl.
    »Lass uns ein bisschen spazieren gehen und über alles reden«, schlug er vor. Über die Zukunft, mit ihm am einen Ende des Landes und mir an dem anderen? Was gab es da noch zu reden?
    Er parkte in der Nähe der University Bridge, und wir nahmen den Burke-Gilman-Wanderweg, der an der Uni und dem Lake Washington entlangführte. Wir liefen nebeneinanderher, ohne uns zu berühren und es erinnerte mich daran, wie er mir letzten Herbst, als wir uns wiedergesehen hatten, den Klaps auf den Rücken gab, dieses freundschaftliche Tätscheln. Keiner von uns wollte anfangen.
    Lexi protestierte, als ich sie in die Bauchtrage steckte, beruhigte sich dann aber mit dem Rhythmus meiner Schritte. Im hellen Märzlicht tauchte strahlend die Universität von Washington vor uns auf, mit dem Weg, der sich vor uns erstreckte.
    Wir setzten uns auf eine Bank vor dem Astronomiegebäude. Unter dem Dach hing eine Sonnenuhr, die sich wie ein kupfergrünes Spinnennetz über die Mauer erstreckte. Sie erinnerte mich daran, wie ich mich in der Unendlichkeit der Zeit verfangen hatte und all die Monate, Tage und Minuten damit verschwendet hatte, auf der Stelle zu treten.
    »Es gibt einen Grund, warum ich mit dir hierher gefahren bin«, sagte Kamran. Er war angespannt und sah aus, als ob er jeden Moment aufspringen könnte, falls Lexi aus der Bauchtrage fallen sollte. Mein Herz raste, während ich darauf wartete, was er mir zu sagen hatte.
    »Ich gehe nicht aufs MIT.«
    Ich saß neben ihm und ließ die Worte sacken. »Du gehst nicht?«
    »Ich wurde nicht aufgenommen. Zu zielgerichtet. Oder nicht zielgerichtet genug. Das Absageschreiben ist nicht wirklich darauf eingegangen.«
    »Aber … was ist mit …?«
    »Harvard? Darüber wollte ich mit dir reden. Ich werde hier an der Uni studieren.« Er blickte hinauf zu der Sonnenuhr. »Ich habe mich für das Luft- und Raumfahrtprogramm eingeschrieben. Nach der MIT ist diese Uni eine der besten des Landes und ich bekomme ein Stipendium, also … werde ich in der Gegend bleiben, wollte ich dir sagen.«
    Wieder einmal hatte sich alles innerhalb von Sekunden verändert. »Ich gehe aufs Cornish«, sagte ich.
    »Ich weiß.«
    »Essence«, sagten wir beide gleichzeitig. Er lächelte. Es war dieses Lächeln, das mich schon früher so fasziniert hatte wie heute und mit Sicherheit auch in der Zukunft – nicht weil es wie das von Andre war, sondern weil es sein eigenes war.
    »Also … ich hab nachgedacht«, sagte er. »Ich habe viel nachgedacht in

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