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Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
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sprach.
    »Und du hast keine Ahnung«, fuhr sie jetzt etwas sanfter fort, »wie es ist …« Sie brach ab, wollte – oder konnte – den Satz nicht beenden.
    Sattdessen nahm sie eines der Fotos, das Bild von ihr und Dad im Krankenhaus, mit Xanda als Baby. Ich wusste, wo das hinführen würde. Xanda war die Frühgeburt, der Grund, warum wir alle jetzt hier waren.
    »Das war der Tag, an dem deine Schwester auf die Welt kam«, sagte sie. Sieben Monate nach der Hochzeit, wie die Eltern meiner Mutter immer wieder betonten.
    Xanda linste schon damals unter ihrer Decke hervor, als würde sie die Welt abschätzen.
    Wenn jemand eine Frühgeburt überleben würde, dann war es Xanda.
    »Sie sieht so riesig aus«, stammelte ich und Mom runzelte die Stirn. Wo war der Katheter? »Sie sieht so … gesund aus für ein Frühchen.« Ich dachte an Lexi, wie sie sich ihren Weg aus den Schläuchen und Kabeln gekämpft hatte, um nach Hause zu kommen. Nur neunhundert Gramm bei ihrer Geburt. Jetzt hatte sie ein Kampfgewicht von etwas über zweitausenddreihundert Gramm.
    Mom beugte sich zu den Bildern hinunter, bis ihr die Haare ins Gesicht fielen und ihre Schultern zuckten, während sie still vor sich hin lachte. Lachte sie über mich? Über Lexi?
    »Was?«, blaffte ich sie an. Ich hatte keine Zeit für so was. Ich musste meinen Bus erwischen.
    Sie legte ihre Hand auf meinen Arm, als wollte sie mir sagen, wohin ich gehen könnte. Ich würde ihr sagen, dass mich ihre Urteile nicht mehr interessierten. Sie konnte weiter glühende Kohlen auf meinem Haupt sammeln, es würde mich nicht mal ansatzweise berühren. Ich hatte jetzt Lexi.
    Ich blickte noch einmal auf das Foto und stellte fest, dass ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Sieben Monate nach der Hochzeit . Und Xanda, die so kräftig und gesund aussah wie das Baby mit dem Bluterguss, das Lexi ohne Weiteres zum Frühstück hätte verspeisen können.
    Du weißt   – reiches Mädchen und Bauarbeiter , hatte Andre gesagt.
    Xanda war keine Frühgeburt. War es niemals gewesen. »Du warst schon schwanger, als du geheiratet hast? Schwanger mit Xanda?«
    Moms Haare rutschten aus ihrem Gesicht, als sie nickte. Und ich erkannte plötzlich, dass die verbissene Maske, die sie so lange getragen hatte, einen unermesslichen Schmerz und ein schreckliches Geheimnis bedeckt hatte – vielleicht so unermesslich wie mein Labyrinth. Die Schuld, die sie so leichtfertig austeilte, war mit einer stilleren, leiseren Stimme verwoben.
    Scham.
    »Ich bin … ich habe mich schon lange nicht mehr wie ich selbst gefühlt. Ich habe mich ständig gefragt, was ich getan oder auch nicht getan hatte, was ich hätte tun können, um das zu verhindern, was mit deiner Schwester passiert ist. Ich wollte es bei dir besser machen.« Ich dachte an Shelley, die mir im Krankenhaus gesagt hatte, dass Traurigkeit manchmal nur aussehe wie Zorn und Anklage. Vielleicht war es das Gleiche mit Angst.
    Wir sahen uns in die Augen. »Glaubst du, dass es meine Schuld war, dass sie gestorben ist?«
    Hätte mich das irgendjemand gestern oder auch vor zehn Minuten gefragt, hätte ich die Antwort gewusst. Doch jetzt war ich mir nicht mehr so sicher.
    Ich versuchte, die Ereignisse zu entwirren, zurück bis zu der alles entscheidenden Frage: Warum ? Es war so einfach, meine Mutter für den Tod von Xanda verantwortlich zu machen und für alles, was danach passiert war. Denn dann musste ich mich nicht fragen, was ich selbst dazu beigetragen hatte. Wie schäbig ich Essence behandelt hatte, Kamran und Shelley. Ich hatte Essence vorgeworfen, sie sei schuld daran, was aus unserer Freundschaft geworden war. In Kamran und Shelley hatte ich Fluchtwege aus meinem Leben gesehen. Vielleicht denkst du, dass dieses Baby alles wieder in Ordnung bringen wird , hatte Delaney gesagt.
    War ich dabei, Lexi das Gleiche anzutun? Wie würden die Entscheidungen, die ich jetzt traf, ihre Zukunft beeinflussen?
    Mir stockte der Atem, als sich dieser Gedanke festsetzte. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem mich Xanda ihr Kleid aus Sicherheitsnadeln anprobieren ließ. Du willst nicht wirklich so sein wie ich , hatte sie gesagt. Du bist besser dran, wenn du so bist wie Mom, nicht wie ich! Ich hatte so lange versucht, wie Xanda zu sein, dass mir gar nicht aufgefallen war, dass ich mich eigentlich wie meine Mutter benahm – ich hatte Schuldgefühle und gab allen anderen die Schuld dafür.
    Moms Frage stand immer noch im Raum, und ich erinnerte mich an das Letzte, was Shelley

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