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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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nurmehr noch entsetzlichen Eindruck machte. Ich überlegte, ob ich ihn, der den für Magen- und Leberkranke und Strafanstalten charakteristischen Geruch in meinem Zimmer verbreitete, nicht aufwecken und vor die Haustür hinunterbegleiten sollte. Es war ein kalter und nasser Abend. Ich bin erschrocken, als Winkler zu sich kam und, ohne nur ein einziges Wort zu sagen, und zwar mit dem Rücken zuerst, aus dem Zimmer ging; abrupt, kam mir vor. Sein Fall war schwierig. Ich habe von dem Menschen bis heute nichts mehr gesehen und nichts mehr gehört.

J AUREGG
    Meine Ankunft in Jauregg, abends, gegen acht Uhr, vor drei Jahren, denke ich, hat zu Hoffnungen berechtigt, die sich nicht erfüllt haben, im Gegenteil, meine Lage hat sich von dem Augenblick an, als ich den jaureggschen Boden betrat, nur verschlimmert. Ein Grund, warum ich aus der Stadt fort bin, war ja wohl der ungeheuere Überfluß an Menschen gewesen, in welchem ich meiner Schutzlosigkeit in den Körper- und Nervenzentren, meines Mangels an Sinnmöglichkeiten wegen schier zu ersticken drohte. Die Vorstellung, an jedem Tag in der Frühe während des Aufwachens unter der Last von einer Million und siebenhunderttausend Menschen mein Tagwerk verrichten zu müssen, hat mich beinahe umgebracht. So habe ich den plötzlichen Entschluß, die Stadt zu verlassen und das Angebot meines Onkels, des Herrn von Jauregg, in das Hauptcomptoire seiner Steinbrüche einzutreten, als eine positive Wendung für meine Weiterentwicklung genommen. Jetzt aber sehe ich, daß die Verhältnisse auf dem Land noch viel bedrückender sind als diejenigen in der Stadt, und daß vierhundert Menschen in den jaureggschen Steinbrüchen eine viel größere Last auf dem Kopf eines Menschen wie ich darstellen als eine Million und siebenhunderttausend in der Stadt. Und hatte ich geglaubt, im Gegensatz zu den Verhältnissen in der Stadt, wo mir die Anknüpfung neuer Kontakte in einem Zeitraum von beinahe zehn Jahren nicht mehr möglich gewesen war, solche auf dem Lande finden zu können, so habe ich schon bald einsehen müssen, daß ich, indem ich in die Dienste der jaureggschen Steinbrüche trat, einem Irrtum zum Opfer gefallen bin. Hier sind keine Kontakte zu Menschen zu knüpfen, denn die Verhältnisse, die hier herrschen, und die Menschen, die hier in den jaureggschen Steinbrüchen leben, machen die Anknüpfung von Kontakten, wie ich sie wünsche, unmöglich. Vor allem ist das hier von jedem einzelnen als die hervorragendste Kunst entwickelteMißtrauen gegen alles schuld an der völligen Kontaktlosigkeit zwischen allen in den jaureggschen Steinbrüchen Beschäftigten. War ich mir in den ersten Stunden meines Aufenthaltes in den Steinbrüchen sicher gewesen, in Kürze gefunden zu haben, was ich suchte, Anschluß an Menschen, so habe ich bald eingesehen, daß es mir nicht möglich sein würde, einen wenigstens beruhigenden Gesprächspartner zu finden für meine langen Abende, von den schlaflosen Nächten abgesehen. Noch nie waren mir Menschen mit einer solchen verletzenden Ablehnung wie die in den jaureggschen Steinbrüchen begegnet. Daß es möglich ist, einen Hilflosen, Hilfesuchenden auf solche, wie ich denke, niederträchtige Weise für seine Hilflosigkeit zu bestrafen, indem man ihn nicht nur nicht an sich herankommen läßt, sondern ihm jedesmal bei der geringsten Annäherung, bei dem Versuch auch nur der geringsten Annäherung, sich ihnen anzuschließen, durch unflätiges Schweigen oder durch unflätige Äußerungen vor den Kopf zu stoßen, entsetzte mich. Zuerst habe ich geglaubt, ihr unmenschliches Verhalten meiner Person gegenüber beruhe auf der Tatsache, oder hinge mit der Tatsache zusammen, daß ich ein Neffe des Herrn von Jauregg bin, aber bald habe ich eingesehen, daß dieses, ich muß gestehen, entsetzliche Verwandtschaftsverhältnis in dieser Beziehung überhaupt keine Rolle spielt. Ich verlor und profitierte dadurch nichts. Ich entdeckte, daß alle zu allen gleich sind, was mich, ich erinnere mich genau, für Augenblicke erleichterte, für den Rest meines Aufenthaltes in den Steinbrüchen aber, unter Umständen, wie ich befürchte, für mein ganzes, mir noch zur Verfügung stehendes Leben in das größte Unglück gestürzt hat. Man muß wissen, daß hier zwischen Männern und Frauen zum Beispiel, abgesehen von den natürlichen mechanischkörperlichen, überhaupt keine Unterschiede bestehen; die Kinder üben nicht im geringsten die von ihnen erwarteten natürlichen Funktionen zwischen

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