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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Einzelheiten bekannt und bewußt geworden. Mit der Zeit habe ich meine Nachforschungen in dieser Hinsicht zu entsetzlichen Ergebnissen machen können, zu solchen Ergebnissen aber, die mich, anstatt nun endlich, wie es mein Onkel verdiente, handlungsfähig, vollkommen handlungs unfähig machen ... Es ist jetzt wohl ein Grad der Erschütterung eingetreten, der mich völlig ohnmächtig gemacht hat ... Ich existiere schon lange Zeit nurmehr noch in Anbetracht, im Anschauen dessen, was damals, an dem 7. Juli vor vier Jahren im Forsthaus vorgefallen ist ... Aber ich existiere gleichzeitig in einer jede Aktivität ausschließenden Ohnmacht ... So kommt es, daß ich der ganzen lächerlichen Alltäglichkeit, die hier herrscht, völlig ausgeliefert bin ... Und Tag und Nacht frage ich mich, immer wieder Tag und Nacht, ob einmal geschehen wird, was geschehen müßte ... Was suche ich da, ich frage mich das ununterbrochen, hier, da, in den jaureggschen Steinbrüchen, wenn nicht alle erdenklichen Mittel gegen meinen schon immer, so weit ich zurückdenken kann, von mir gehaßten Onkel? Nein, auch ich gehe ja unter seinem Einfluß zugrunde, genauso, wie meine Mutter unter seinem Einfluß zugrunde gegangen ist ... Und ich denke, während ich wie tagtäglich, meiner Gewohnheit nachgehend, unmittelbar nach Büroschluß vor der Baracke auf- und abgehe, daß ich, so denke ich, heute, an diesem finsteren grauen Tagverzweifeln müßte, käme nicht der steierische Komiker heute abend, den ich schon einmal gesehen habe, ein talentierter junger Mann ... Gestern, und wieder während ich nach Büroschluß vor der Baracke auf- und abging, habe ich gedacht, ich müßte verzweifeln, wenn ich nicht zum Kartenspiel in die Kantine gehen könnte ... und vorgestern habe ich mich, in derselben Weise vor der Baracke auf- und abgehend, auf das Haarschneiden beim Friseur gefreut und bin nicht verzweifelt. So tritt jeden Tag am Abend, wenn die Bürozeit beendet ist, etwas ein, das mich nicht verzweifeln läßt, obwohl ich verzweifeln müßte , obwohl ich ja in Wahrheit verzweifelt bin . Und obwohl ich das weiß, denn tatsächlich habe ich immer etwas nach Büroschluß, das mich ablenkt , nicht immer etwas, das mich freut , wenigstens etwas, das mich ablenkt, habe ich jedesmal vor dem Büroschluß Angst. Denn einmal, denke ich, könnte es sein, daß ich nichts mehr habe, das mich erfreut oder auch nur ablenkt. Es kommt einfach keine Freude und keine Ablenkung mehr, es ist ein Naturgesetz, daß jedem Menschen einmal keine Freude und auch keine Ablenkung mehr kommt, nicht die geringste Freude, nicht die unbedeutendste Ablenkung ... Und ich denke, ich müßte, den Umständen, die hier herrschen, entsprechend, in Wirklichkeit, wenn ich es überlege, der allerverzweifeltste Mensch sein, und möglicherweise bin ich auch der allerverzweifeltste Mensch, aber ich denke, ich gehe, ich gehe schneller, ich gehe immer noch schneller auf und ab, und ich sage mir, du mußt ja verzweifelt sein, du mußt in der größten Verzweiflung sein und du hast ein Recht darauf, du hast ein Recht auf diese Verzweiflung, tagtäglich immer wieder verzweifelt zu sein, und ich denke, nach Büroschluß, wenn ich plötzlich alleingelassen vor der Baracke auf- und abgehe und mit mir nichts mehr anzufangen weiß, außer auf- und abzugehen, besser gesagt, in der Vorfreude auf eine abendliche Ablenkung, Abwechslung, Überbrückung meines Alleinseins, meiner plötzlichen Hilflosigkeit, meiner Übelkeitgegenüber, daß meine Existenz tatsächlich eine verzweifelte Existenz ist ... Aber ich weiß auch, daß es lächerlich ist, eine verzweifelte Existenz zu führen, auch nur die Feststellung zu machen, man führe eine verzweifelte Existenz, ist lächerlich, wie ja der Gebrauch des Wortes »Verzweiflung« an sich schon lächerlich ist ... und wie, wenn man es überlegt, alle Wörter, die man gebraucht, auf einmal lächerlich werden ... aber ich erlaube mir keine Abschweifung, lächerlich oder nicht, meine Existenz ist eine verzweifelte, wie es ja in den jaureggschen Steinbrüchen nur verzweifelte Existenzen gibt, nicht eine einzige nicht verzweifelte, aber wie die anderen ist auch die meine, den Umständen in den jaureggschen Steinbrüchen entsprechend, apathisch geworden, anspruchslos ... Ich sage mir, ich bin zwar verzweifelt, aber ich muß nicht verzweifeln, grundsätzlich bin ich ja immer verzweifelt, grundlegend, aber ich muß nicht verzweifeln ... Und ich arrangiere mir für den kommenden Abend

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