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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Männern und Frauen aus, alle sind hier in den jaureggschen Steinbrüchen gleich,wenn auch jünger oder älter, so doch vollkommen gleich ... Auch was ihre Gesichter betrifft, unterscheiden sie sich nicht im geringsten voneinander, ihre hoffnungslose Physiognomie ist die gleiche, die Art, wie sie gehen, wie sie sprechen, wie sie schlafen, sich fortwährend Nahrung beschaffen. Alle haben sie die grauen jaureggschen Arbeitskleider an, die jaureggschen Arbeitsschuhe, die jaureggschen Arbeitskappen auf. Alle werden sie von der jaureggschen Büroapparatur vollkommen gleich behandelt. Und nicht wie sonst, wo Menschen zusammen sind, geben sie sich auf jedem Platz, zum Beispiel auf dem Arbeitsplatz und in der Kantine, entsprechend anders, sie geben sich immer gleich. Die Versuche von seiten des Betriebsrates oder aber auch von seiten meines Onkels, die eintönige Atmosphäre in den jaureggschen Steinbrüchen aufzulockern, indem man zum Beispiel von Zeit zu Zeit einmal eine Gruppe Volkstänzer oder einen kleineren Zirkus engagiert, oder einen Komiker, wie den steierischen, der heute abend auftritt, sind umsonst. Denn hier herrscht eine generelle Kraftlosigkeit und ein genereller Wille zu nichts. Aber diese Gedanken lenken mich nur von dem einen und einzigen, den ich habe, von dem ununterbrochenen, von dem Gedanken an meinen Onkel, ab. Wie sehr ich auch wünsche, von diesem Gedanken abgelenkt zu sein, Tag und Nacht denke ich, was ich auch denke, womit immer ich mich beschäftige, an meinen Onkel und wie ich ihm, der am Tod meiner Mutter schuld ist, zu begegnen habe. Diese Schuld meines Onkels am Tod meiner Mutter ist es ja hauptsächlich, die mich in die Steinbrüche hat gehen lassen ... Nichts sonst. Das ist die Wahrheit. Und ich denke: in den drei Jahren, die ich in Jauregg bin, habe ich meinen Onkel nur ein einziges Mal gesehen, ich durfte an einem Mittagessen teilnehmen, das er für einen Wiener Geschäftsmann in der Kantine gegeben hat, aus Anlaß eines größeren Auftrages, den er dem Wiener Geschäftsmann verdankte. Während des ganzen Essens hatte er sich mir nicht ein einziges Mal zugewendet undmich in die Unterhaltung mit seinen Besuchern – es waren außer dem Wiener Geschäftsmann noch zwei Herren, ihm befreundete Fabrikanten, dabeigewesen – absichtlich nicht mit einbezogen. Ich habe mich damals gefragt, warum er mich an dem Essen hatte teilnehmen lassen. Immer wieder fragte ich mich nach dem Grund, ohne jedoch einen zu finden. Nachdem er mich den Herren mit den Wörtern »Mein Neffe« vorgestellt hatte, würdigte mich mein Onkel keines Blickes mehr. Das Essen, fällt mir ein, hat genau drei Tage nach meinem Dienstantritt in den Steinbrüchen stattgefunden. Ich erinnere mich, daß ich während des ganzen Essens darauf gewartet hatte, von meinem Onkel gefragt zu werden, wie es mir ginge, wenigstens, ob ich mich schon eingewöhnt habe. Wo sich meine (bescheidene) Unterkunft befinde. Ob man mir bei meinem Eintreten zuvorkommend begegnet sei. Ich war damals krank, und ich habe mir am Tisch gesagt, jetzt, wo du sein Angebot angenommen und den Dienstvertrag unterschrieben und die Arbeit angefangen hast, hat er dich »fallengelassen«. Man muß sich vorstellen, das Essen dauerte eineinhalb Stunden, und mein Onkel hat kein einziges Wort mit mir gesprochen. Wohl, weil er sie beherrschte, ohne daß sie es merkten, hatten auch die Wiener Herren kein Wort für mich übrig gehabt, abgesehen von dieser Taktlosigkeit haben sie mich mehrere Male unter dem Tisch mit ihren Füßen angestoßen, ohne irgendeine Entschuldigung. Warum mir gerade jetzt dieses Essen einfällt, weiß ich nicht. Seither sind drei Jahre vergangen, und ich habe meinen Onkel nicht ein einziges Mal mehr gesehen, obwohl ich weiß, daß er alle zwei oder drei Wochen in den Steinbrüchen Inspektion macht. – Ich selbst gehe ihm aus dem Weg; wenn ich höre, daß er kommt, gehe ich dorthin, wo er mich nicht findet. Wenn er mich ein einziges Mal hätte rufen lassen! denke ich. Es gibt Räume in der Bürobaracke, die er nicht betritt, ja, von denen er gar nichts weiß, dahin ziehe ich mich zurück, wenn er kommt ... Jedesmal, wenn er fort ist, wenn ich im Büro zurück bin,frage ich, ob mein Onkel nach mir gefragt habe, und jedesmal bekomme ich als Antwort zu hören, er habe nicht nach mir gefragt. Mit meiner Arbeit ist er zufrieden, weil der Bürovorsteher damit zufrieden ist. Aber einmal werde ich ihm gegenübertreten müssen und ihm sagen ... denke ich. Ich

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