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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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immerfort eine Ablenkung, eine Abwechslung: letzten Freitag habe ich mir ein Buch, letzten Dienstag etwas Gutes, etwas Kräftiges zu essen gekauft ... Ich schreibe Briefe, ich studiere die Naturwissenschaft ... Ich multipliziere und dividiere, ich kann mich durch spiritistische, geophysische Übungen ablenken ... ich führe Selbstgespräche. Stundenlang schaue ich durch die Fenster in die Baracken hinein und beobachte, oder ich überlasse mich im Bett meiner Nachdenklichkeit. Diese Art, meine Zeit auszufüllen, aber fürchte ich, denn sie verursacht das Gegenteil einer Ablenkung und führt, den Ursachen entsprechend, früher oder später zu Kopfschmerzen und Brechreiz. Abwechselnd gehe ich jeden Abend, ohne diese Gewohnheit ändern zu können, ohne sie ändern zu wollen, nach Büroschluß, aber vermutlich tief unter der Oberfläche einer beginnenden Geisteskrankheit, einer reinen Geschöpfkrankheit, die, wie ich herausbekommen habe, mehr mit meinem Vater, weniger mit meiner Mutter zusammenhängt, hin und her, gehe auf dem geschlossenen, von der Außenwelt völlig ab geschlossenenAreal der jaureggschen Steinbrüche, und zwar immer zwischen der Büro- und der Arbeiterwohnbaracke, hin und her ... Für die Arbeiter bin ich nach fünf, von ihnen abgesondert, durch meine jetzt schon selbst für mich erstaunliche Ablenkungskunst, nichts als einer, der mit immer der gleichen Geschwindigkeit zwischen den Baracken hin- und hergeht, während ich tatsächlich ein nach Büroschluß wohl zwischen den Baracken Hin- und Hergehender, gleichzeitig aber, und mit viel tieferem Bewußtsein, ein in seiner Krankheit Hin- und Hergehender bin, ein seiner Krankheit als einer streng wissenschaftlichen Übung Verfallener, der durch laut zurückgerufene Antworten, Grüße auf laute Fragen, Grüße an Vorübergehende, Erleichterung sucht. Die Existenz in den jaureggschen Steinbrüchen ist schwierig, wenn nicht gerade entsetzlich ... Einer in der Isolation der jaureggschen Steinbrüche grob und verbittert gewordenen Gesellschaft ist selbstverständlich mit der größten Geschicklichkeit zu begegnen, will sich ein Mensch wie ich über einen längeren als nur kürzesten Zeitraum in ihr behaupten. Einmal begangene Fehler gegenüber einer nur noch in Neugier und Schadenfreude ihr Auskommen suchenden und auch findenden Ansammlung von Menschen, die sich gegenseitig zu vernichten trachten, sind nicht mehr gut zu machen, der geringste löst, unter Umständen, eine Verschwörung, ein Martyrium aus; wie oft schon ist in den jaureggschen Steinbrüchen – wieviel solcher Fälle sind mir bekannt! – so ein Fehler, eine derartige unüberlegte Äußerung, eine nicht ganz durchdachte Erklärung die Todesursache eines Menschen gewesen. Der Schwachsinn und die aus dem Schwachsinn der gewöhnlichen jaureggschen Masse heraus resultierende Brutalität katastrophieren einem jede Phase des für alle immer bedrückenden Handlungsablaufs ... Wenn ich aufwache, wehre ich mich gegen alles so lange, bis ich einschlafe. Vor allem fürchte ich, in eines ihrer tödlichen Gespräche hineingezogen zu werden, während vieler Wochen überhaupt angesprochen zu werden,überhaupt entdeckt zu werden. Aber um leben zu können, muß man mit Menschen zusammen sein ... Weggehen aus den jaureggschen Steinbrüchen, hinausgehen, in die Stadt zurückgehen, habe ich oft gedacht, aber ich bin nicht weggegangen, und ich bin nicht in die Stadt zurückgegangen ... Meine Anstellung in den jaureggschen Steinbrüchen hat in kürzester Zeit die beinahe völlige Isolation meiner Person zur Folge gehabt ... Ich habe nurmehr noch zu mir selbst Kontakt ... Ursache ist die tatsächlich tödliche Abgeschlossenheit der jaureggschen Steinbrüche, das an allen Seiten aufragende Hochgebirge, die ständige Spiegelung einer allen Gehirnen furchterregenden Fauna ... Was mich betrifft, so habe ich schon von dem Augenblick an, in welchem ich eingesehen habe, daß die jaureggschen Steinbrüche der Natur gehorsam menschenfeindliche sind, nicht mehr die Kraft gehabt, wegzugehen ... Und mit welcher Absicht bin ich, vermeintlich in einer gesunden Verstandesschärfe, hergekommen! – Jetzt sehe ich den Komiker, und ich atme tief ein, als ob ich gerettet wäre! Ich brauche dem Mann aus der Steiermark ja nur nachzugehen, denke ich, noch im Freien ziehe ich mir den Rock aus, ich werfe meinen Hut in die Garderobe ... Ich finde noch einen einzigen Platz in der überfüllten Kantine ... Der Komiker sagt etwas, alle lachen, ich

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