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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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denke, alle Versuche sind gescheitert, mein früheres Leben, das ja weder aussichtslos noch eintönig gewesen war, dort wieder fortzusetzen, wo ich es abgebrochen hatte in der Stadt, also unter allen möglichen Menschen und unter allen möglichen Voraussetzungen, also unter allen möglichen Möglichkeiten. Heute weiß ich nicht mehr, warum ich wirklich aus der Stadt fort und in die jaureggschen Steinbrüche bin. Meiner Mutter zuliebe? ... Ich quäle mich mit der Antwort, die ich mir nicht mehr geben kann, ich frage mich: war es die plötzliche Unerträglichkeit des Städtischen? Nein, nichts, aber auch gar nichts, das man erklären könnte. So sind drei Jahre vergangen, ohne daß ich mich noch einmal gefragt hätte, warum ich wirklich , ja, in der Wirklichkeit , die Anstellung in den jaureggschen Steinbrüchen angenommen habe, warum ich noch immer in den jaureggschen Steinbrüchen bin . Alles, denke ich, deutet darauf hin, daß ich mein ganzes Leben in den jaureggschen Steinbrüchen bleiben werde ... in Gedanken immer mit meinem Onkel beschäftigt ... mit meiner Mutter. Der Bürovorsteher hat einmal gesagt, ich sei ein guter Zahlenzusammenrechner. Also bin ich ein guter Zahlenzusammenrechner ... Von Zeit zu Zeit, denke ich, erzähle ich einen von mir erfundenen Witz, dann lachen meine Kollegen ... Sie kennen mich als guten Witzeerzähler. Ich kenne keine größere Qual, als einen Witz zu erzählen, aber da ich keine andere Möglichkeit habe, mich bei meinen Kollegen, ich will nicht sagen, beliebt zu machen, ich meine nur, mich über Wasser zu halten, erzähle ich ab und zu einen von mir erfundenen Witz, den sie als guten Witz bezeichnen. Aber ich bin kein Komiker. Tagelang und nächtelang denke ich mir einen solchen Witz aus. Ich bin kein Komiker. Kann ich ihn erzählen, gehe ich nicht unter. Erzähle ich ihn besonders gut, bin ich einige Zeit hoch oben unter meinen Kollegen. Aber ich bin kein Komiker. Müßten sie sagen, wer ich sei, sie sagten dann sicher, ich sei ein guter Zahlenzusammenrechner und ein beinahe ebenso guter Witzeerzähler. Aber ich bin kein Komiker. Ich weiß nicht, worin ich mich sonst noch hervortun könnte. In die jaureggsche Sporthalle gehe ich nie, im Schwimmbad gelingen mir nur die zaghaftesten Versuche und ich mache mich jedesmal lächerlich. In der Kantine spiele ich immer (der Komiker ist jetzt schon die längste Zeit nur durch seinen steierischen Akzent allein komisch!) die alleruntergeordnetste Rolle. Im Geschichtenerzählen bin ich zu langsam, und ich erzähle ihnen allen mit viel zu großen Zwischenräumen. Ich zeichne mich auch nicht durch eine angenehme Stimme aus. Zum Beispiel kann ich nicht pfeifen. In meiner Kleidung bevorzuge ich jene Unauffälligkeit, die auf die anderen anmaßend wirkt, sie empfinden alles, was ich anhabe, nichtfür die jaureggschen Steinbrüche geeignet. Ich rede jetzt nicht von den Arbeitern, ich meine die kleinlichen, die stumpfsinnigen Leute im Büro, die mir ständig vorzuhalten scheinen, wer ich denn sei und warum ich so und nicht so sei, und vor allem, warum ich überhaupt sei. Aber in Wirklichkeit halten hier (jetzt lachen sie wieder!) alle allen alles vor.

Z WEI E RZIEHER
    Während der neue Erzieher bis jetzt nur geschwiegen hat, wenn wir in der Mittagszeit unseren mir schon zur Gewohnheit gewordenen Spaziergang machten, hat er heute von Anfang an das Bedürfnis gehabt, mit mir zu reden. Wie Menschen, die lange Zeit nichts geredet haben und das urplötzlich als einen fürchterlichen Mangel empfinden, als etwas für sie und für die ganze mit ihnen zusammenhängende Gesellschaft Beängstigendes, erklärte er mir auf einmal aufgeregt, daß er im Grunde immer sprechen wolle, aber nicht sprechen, reden könne. Mir sei mit Sicherheit der Umstand bekannt, daß es Menschen gibt, in deren Gegenwart es unmöglich ist, zu sprechen ... In meiner Gegenwart sei es für ihn so schwierig, etwas zu sagen, daß er sich vor jedem Wort fürchte, er wisse nicht, warum, er könne nachforschen, doch würde ihn eine solche Anstrengung wahrscheinlich über eine ihm doch viel zu lange Periode hinaus irritieren. Gerade jetzt, zu Schulanfang, unter dem Druck von Hunderten von disziplinfeindlichen Zöglingen, unter dem Druck der sich immer noch mehr vergröbernden Jahreszeit, könne er sich nicht die geringfügigste Irritation leisten. »Ich erlaube mir jetzt überhaupt nichts«, sagte er, »ich existiere hundertprozentig nur aus meinen persönlichen Schwierigkeiten.« Obwohl,

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