Erzaehlungen
schaut dem andern tief in die Augen ... Und plötzlich fällt ihm ein, daß dort auf dem Klavier – die Briefe liegen. Hugo braucht nur aufzustehen, ein paar Schritte zu machen – und sieht sie ... und weiß alles. Unwillkürlich faßt Richard die Hände des Freundes – das darf noch nicht sein;
er
ist es, der vor der Entdeckung zittert.
Und wieder beginnt Hugo zu sprechen. Mit leisen, zarten Worten, in denen er es vermeidet, den Namen der Toten auszusprechen, fragt er nach ihrer Krankheit, nach ihrem Sterben. Und Richard antwortet. Er wundert sich anfangs, daß er das kann; daß er die widerlichen und gewöhnlichen Worte für all das Traurige der letzten Tage findet. Und ab und zu streift sein Blick das Gesicht des Freundes, der blaß, mit zuckenden Lippen lauscht.
Wie Richard innehält, schüttelt der andere den Kopf, als hätte er Unbegreifliches, Unmögliches vernommen. Dann sagt er: Es war mir furchtbar, heute nicht bei dir sein zu können. Das war wie ein Verhängnis.
Richard sieht ihn fragend an.
Gerade an jenem Tag ... in derselben Stunde waren wir auf dem Meer.
Ja, ja ...
Es gibt keine Ahnungen! Wir sind gesegelt, und der Wind war gut, und wir waren so lustig ... Entsetzlich, entsetzlich.
Richard schweigt.
Du wirst doch aber jetzt nicht hier bleiben, nicht wahr?
Richard schaut auf. Warum?
Nein, nein, du darfst nicht.
Wohin soll ich denn gehn? ... Ich denke, du bleibst jetzt bei mir? ... Und eine Angst überfällt ihn, daß Hugo wieder weggehen könnte, ohne zu wissen, was geschehen.
Nein, erwiderte der Freund, ich nehme dich mit, du fährst mit mir weg.
Ich mit dir?
Ja ... Und das sagt er mit einem milden Lächeln.
Wohin willst du denn?
Zurück! ...
Wieder an die Nordsee?
Ja, und mit dir. Es wird dir wohltun. Ich lasse dich ja gar nicht hier, nein! ... Und er zieht ihn wie zu einer Umarmung an sich ... Du mußt zu uns! ...
Zu uns? ...
Ja.
Was bedeutet das »zu uns«? Bist du nicht allein?
Hugo lächelt verlegen: Gewiß bin ich allein ...
Du sagst »uns« ...
Hugo zögert eine Weile. Ich wollte es dir nicht gleich mitteilen, sagt er dann.
Was? ...
Das Leben ist so sonderbar – ich habe mich nämlich verlobt ...
Richard schaut ihn starr an ...
Darum meint' ich: »Zu uns« ... Darum geh' ich auch wieder an die Nordsee zurück, und du sollst mit mir fahren. – Ja? Und er sieht ihm mit hellen Augen ins Gesicht.
Richard lächelt. Gefährliches Klima an der Nordsee.
Wieso?
So rasch, so rasch! ... Und er schüttelt den Kopf.
Nein, mein Lieber, erwidert der andere, nicht eben rasch. Es ist eigentlich eine alte Geschichte.
Richard lächelt noch immer. Wie? ... eine alte Geschichte?
Ja.
Du kennst deine Braut von früher her? ...
Ja, seit diesem Winter.
Und hast sie lieb? ...
Seit ich sie kenne, erwidert Hugo und blickt vor sich hin, als kämen ihm schöne Erinnerungen.
Da steht Richard plötzlich auf, mit einer so heftigen Bewegung, daß Hugo zusammenfährt und zu ihm aufschaut. Und da sieht er, wie zwei große fremde Augen auf ihm ruhen, und sieht ein blasses, zuckendes Gesicht über sich, das er kaum zu kennen glaubt. Und wie er angstvoll sich erhebt, hört er, wie von einer fremden, fernen Stimme, kurze Worte zwischen den Zähnen hervorgepreßt: »Ich weiß es.« Und er fühlt sich an beiden Händen gepackt und zum Klavier hingezerrt, daß der Armleuchter auf der Säule zittert. Und dann läßt Richard seine Arme los und fährt mit beiden Händen unter die Briefe, die auf dem schwarzen Deckel liegen, und wühlt, und läßt sie hin und her fliegen ...
Schurke! schreit er, und wirft ihm die Blätter ins Gesicht.
Arthur Schnitzler
Ein Abschied
Eine Stunde wartete er schon. Das Herz klopfte ihm, und zuweilen war ihm, als hätte er vergessen zu atmen; dann zog er die Luft in tiefen Zügen ein, aber es wurde ihm nicht wohler. Er hätte eigentlich schon daran gewöhnt sein können, es war ja immer dasselbe; immer mußte er warten, eine Stunde, zwei, drei, und wie oft vergebens. Und er konnte es ihr nicht einmal zum Vorwurf machen, denn wenn ihr Mann länger zu Hause blieb, wagte sie sich nicht fort; und erst wenn der weggegangen war, kam sie hereingestürzt, ganz verzweifelt, ihm rasch einen Kuß auf die Lippen drückend, und gleich wieder davon, die Treppen hinunterfliegend, und ließ ihn wieder allein. Dann, wenn sie fort war, pflegte er sich auf den Divan zu legen, ganz matt von der Aufregung dieser entsetzlichen Wartestunden, die ihn unfähig zu aller Arbeit machten, die
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