Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
vergebens. Es wurde vier – fünf – sechs – sieben – sie kam nicht. Dann lief er in seinem Zimmer hin und her und stöhnte leise, und als ihm schwindlig wurde, warf er sich aufs Bett. Er war völlig verzweifelt; das war nicht mehr zu ertragen – das beste: fort, fort – dieses Glück war doch zu teuer bezahlt! ... Oder er mußte wieder eine Änderung treffen – z.B. nur
eine
Stunde warten – oder zwei – aber so konnte das nicht weiter gehen, da mußte alles in ihm zu Grunde gerichtet werden, die Arbeitskraft, die Gesundheit, schließlich auch die Liebe. Er merkte, daß er an
sie
überhaupt gar nicht mehr dachte; seine Gedanken wirbelten wie in einem wüsten Traum. Er sprang vom Bett herunter. Er riß das Fenster auf, sah auf die Straße hinab, in die Dämmerung .... Ah ... da ... dort an der Ecke ... in jeder Frau glaubte er sie zu erkennen. Er entfernte sich wieder vom Fenster; sie durfte ja nicht mehr kommen; die Zeit war ja überschritten. Und plötzlich kam es ihm unerhört albern vor, daß er nur diese wenigen Stunden zum Warten bestimmt hatte. Vielleicht hätte sie gerade jetzt Gelegenheit gehabt .... vielleicht wäre es ihr heute vormittags möglich gewesen, zu ihm zu kommen – und schon hatte er auf den Lippen, was er nächstens sagen wollte, und flüsterte es vor sich hin: »Den ganzen Tag werde ich von jetzt an zu Hause sein und dich erwarten; von früh bis in die Nacht.« Aber wie er es ausgesprochen, begann er selbst zu lachen, und dann flüsterte er vor sich hin: »Aber ich werde ja toll, toll, toll!« – Wieder stürzte er zu ihrem Hause. – Es war alles wie gestern. Lichter schimmerten durch die geschlossenen Rouleaus. Wieder spazierte er eine halbe Stunde auf dem gegenüberliegenden Trottoir hin und her – wieder entfernte er sich, als die Hausmeisterin und einige Dienstmädchen aus dem Tore traten. Es kam ihm heute vor, als sähen ihn die an, und er war überzeugt, daß sie sich über ihn unterhielten und sagten: Das ist derselbe Herr, der gestern hier um dieselbe Zeit auf und ab gegangen ist. Er spazierte in nahen Gassen umher, aber als es von den Türmen zehn Uhr schlug und die Tore geschlossen wurden, kam er wieder und starrte zu den Fenstern hinauf. Nur durch das letzte, wo das Schlafzimmer lag, schimmerte ein Lichtstrahl. Er sah hin wie gebannt. – Nun stand er hilflos da und konnte nichts tun und nicht fragen. – Ihn schauderte vor den Stunden, die ihm bevorstanden. Eine Nacht, ein Morgen, ein Tag bis drei Uhr. – Ja, bis drei – und dann ... wenn sie wieder nicht käme? ... Ein leerer Wagen fuhr vorbei, er winkte dem Kutscher und ließ sich in den nächtlichen Straßen langsam hin- und herfahren .... Er erinnerte sich des letzten Zusammenseins mit ihr ... nein, nein, sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben – nein, das gewiß nicht! – Oder sollte man bei ihr zu Hause einen Verdacht gefaßt haben? ... Nein, das war ja nicht möglich ... es war bisher auch nicht eine Spur davon aufgetaucht – und sie war ja so vorsichtig. – Es konnte also nur einen Grund geben: sie war leidend und lag zu Bette. Und deswegen konnte sie auch keine Nachricht an ihn gelangen lassen ... Und morgen würde sie aufstehen und vor allem anderen ein paar Zeilen an ihn senden, ihn zu beruhigen .... Ja, wenn sie aber erst in zwei Tagen oder noch später das Bett verlassen konnte ... wenn sie ernstlich krank ... um Himmels willen ... wenn sie schwer krank wäre ... Nein, nein, nein ... warum denn gleich schwer krank! ...
    Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihm ein erlösender erschien. Da sie ganz sicher krank war, konnte er ja morgen zu ihr hinaufschicken und nach ihrem Befinden fragen lassen. Der Bote brauchte ja selbst nicht zu wissen, von wem er den Auftrag hatte – er konnte den Namen schlecht verstanden haben ... Ja, ja, so sollte es geschehen! – Er war ganz glücklich, daß ihm dieser Einfall gekommen war.
    So verstrich ihm die Nacht und der nächste Tag, obwohl er keine Nachricht erhielt, ruhiger, und selbst den Nachmittag verbrachte er unter geringerer Aufregung als sonst; – er wußte ja, daß schon am Abend, heute noch, die Ungewißheit zu Ende sein würde. Er sehnte sich nach ihr zärtlicher und besser als in den letzten Tagen.
    Um acht Uhr abends verließ er sein Haus. An einer etwas entfernteren Straßenecke nahm er einen Dienstmann auf, der ihn nicht kannte. Er winkte ihm, mitzugehen. Nicht weit von ihrer Wohnung blieb er mit ihm stehen. Er entließ ihn mit einem eindringlichen

Weitere Kostenlose Bücher