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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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ihn langsam ruinierten. Das ging nun schon ein viertel Jahr lang so, seit dem Ende des Frühlings. Jeden Nachmittag von drei Uhr an war er in seinem Zimmer bei heruntergelassenen Rouleaus und konnte nichts beginnen; hatte nicht die Geduld, ein Buch, kaum, eine Zeitung zu lesen, war nicht imstande, einen Brief zu schreiben, tat nichts als Zigaretten rauchen, eine nach der andern, daß das Zimmer ganz im blaugrauen Dunste dalag. Die Tür zum Vorzimmer stand immer offen; und er war ganz allein zu Hause, denn sein Diener durfte nicht da sein, wenn sie kommen sollte; und wenn dann plötzlich die Klingel schrillte, fuhr er immer erschreckt zusammen. Aber wenn nur
sie
es war, wenn sie es nur endlich wirklich war, da war es ja schon gut! Da war ihm, als löste sich ein Bann, als wäre er wieder ein Mensch geworden, und er weinte manchmal vor lauter Glück, daß sie nur endlich einmal da war, und daß er nicht mehr warten mußte. Dann zog er sie rasch in sein Zimmer, die Tür wurde geschlossen, und sie waren sehr selig.
    Es war verabredet, daß er täglich bis punkt sieben zu Hause zu bleiben hatte; denn nachher
durfte
sie gar nicht mehr kommen – er hatte ihr ausdrücklich gesagt, daß er um sieben immer weggehen würde, weil ihn das Warten so nervös machte. Und doch blieb er immer länger zu Hause, und erst um acht pflegte er auf die Straße hinunterzugehen. – Dann dachte er schaudernd an die verflossenen Stunden und erinnerte sich mit Wehmut des vorigen Sommers, da er seine ganze Zeit für sich gehabt, an schönen Nachmittagen oft aufs Land gefahren, im August schon ins Seebad gereist, und gesund und glücklich gewesen war; – und ersehnte sich nach Freiheit, nach Reisen, nach der Ferne, nach dem Alleinsein, aber er konnte nicht weg von ihr; denn er betete sie an.
    Heute schien ihm der ärgste von allen Tagen. Gestern war sie gar nicht gekommen, und er hatte auch keinerlei Nachricht von ihr erhalten. – Es war bald sieben; aber er wurde heute nicht ruhiger. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Das Entsetzliche war, daß er keinen Weg zu ihr hatte. Er konnte nichts anderes tun, als vor ihr Haus gehen und ein paarmal vor den Fenstern auf und ab spazieren; aber er durfte nicht zu ihr, durfte niemand zu ihr schicken, konnte sich bei niemandem nach ihr erkundigen. Denn kein Mensch ahnte nur, daß sie einander kannten. Sie lebten in einer ruhelosen, angstvollen und glühenden Zärtlichkeit hin und hätten gefürchtet, sich vor anderen jeden Augenblick zu verraten. Er fand es wohl schön, daß ihr Verhältnis in tiefster Verborgenheit fortdauerte; aber solche Tage, wie der heutige, waren um so qualvoller.
    Es war acht Uhr geworden – sie war nicht gekommen. Die letzte Stunde war er ununterbrochen an der Türe gestanden und hatte durchs Guckfensterchen auf den Gang hinausgeschaut. Eben waren die Gasflammen auf der Stiege angezündet worden. Jetzt ging er in sein Zimmer zurück, und todmüde warf er sich auf den Divan. Es war ganz dunkel im Zimmer, er schlummerte ein. Nach einer halben Stunde erhob er sich und entschloß sich, fortzugehen. Er hatte Kopfschmerzen, und die Beine taten ihm weh, als wäre er stundenlang herumgelaufen.
    Er nahm den Weg zu ihrem Hause. Es war ihm wie eine Beruhigung, als er die Rouleaus in allen Fenstern heruntergelassen sah. Durch die des Speisezimmers und die des Schlafzimmers schimmerte ein Lichtschein. – Er spazierte ein halbe Stunde auf dem gegenüberliegenden Trottoir hin und her, immer den Blick auf die Fenster geheftet. Die Straße war wenig belebt. Erst als sich einige Stubenmädchen und die Hausmeisterin vor dem Tore zeigten, entfernte er sich, um nicht aufzufallen. In dieser Nacht schlief er fest und gut.
    Am nächsten Vormittag blieb er lange im Bette liegender hatte einen Zettel ins Vorzimmer gelegt, man dürfe ihn nicht wecken. Um zehn Uhr klingelte er. Der Diener brachte ihm das Frühstück; auf der Untertasse lag die eingelaufene Post; von
ihr
war kein Brief da. Aber er sagte sich gleich, daß sie nun um so sicherer selber am Nachmittag bei ihm sein werde, und so verbrachte er die Zeit bis drei Uhr ziemlich ruhig.
    Punkt drei, aber auch nicht eine Minute früher, kam er vom Mittagessen nach Hause. Er setzte sich auf einen Sessel im Vorzimmer, um nicht immer hin- und herlaufen zu müssen, wenn er ein Geräusch im Stiegenhaus vernahm. Aber er war ganz froh, wenn er nur überhaupt Schritte in der Flur unten hörte; es war doch immer wieder eine neue Hoffnung. Doch jede war

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