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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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liege unter den Buchen. Der schwere Nachmittag drückt die Zweige nieder; ab und zu hör' ich nahe Schritte von Menschen, die über den Waldweg kommen; aber ich kann sie nicht sehen, denn ich rühre mich nicht, und meine Augen tauchen in die Höhe. Ich höre auch das helle Lachen von Kindern, aber die große Stille um mich trinkt alles Geräusch rasch auf, und ist es kaum eine Sekunde lang verklungen, so scheint es längst vorbei. Wenn ich die Augen schließe und gleich wieder öffne, so erwache ich wie aus einer langen Nacht. So entgleite ich mir selbst und verschwebe wie ein Stück Natur in die große Ruhe um mich.

    Mit der schönen Ruhe ist es aus. Nicht im Ruderboot und nicht unter Buchen wird sie wiederkommen. Alles scheint mit einem Male verändert. Die Melodien der Kapelle klingen sehr heiß und lustig; die Leute, die an einem vorbeigehen, reden viel; die Kinder lachen und schreien. Sogar das liebe Meer, das so schweigend schien, schlägt nachts lärmend an das Ufer. Das Leben ist wieder laut für mich geworden. Nie war ich so leicht vom Hause abgereist; ich hatte nichts Unvollendetes zurückgelassen. Ich hatte mein Doktorat gemacht; eine künstlerische Illusion, die mich eine Jugend hindurch begleitet, hatte ich endgültig begraben, und Fräulein Jenny war die Gattin eines Uhrmachers geworden. So hatte ich das seltene Glück gehabt, eine Reise anzutreten, ohne eine Geliebte zu Hause zu lassen und ohne eine Illusion mitzunehmen. In der Empfindung eines abgeschlossenen Lebensabschnittes hatte ich mich sicher und wohl gefühlt. Und nun ist alles wieder aus; – denn Frau Friederike ist da.

    Spät abends auf meiner Terrasse; ich hab' ein Licht auf meinen Tisch gestellt und schreibe. Es ist die Zeit, über alles ins Klare zu kommen. Ich zeichne mir das Gespräch auf, das erste mit ihr nach sieben Jahren, das erste nach jener Stunde ...
    Es war am Strand, um die Mittagszeit. Ich saß auf einer Bank. Zuweilen gingen Leute an mir vorüber. Eine Frau mit einem kleinen Jungen stand auf der Landungsbrücke, zu weit, als daß ich die Gesichtszüge hätte ausnehmen können. Sie war mir übrigens durchaus nicht aufgefallen; ich wußte nur, daß sie schon lange dort gestanden war, als sie endlich die Brücke verließ und mir immer näher kam. Sie führte den Knaben an der Hand. Nun sah ich, daß sie jung und schlank war. Das Gesicht kam mir bekannt vor. Sie war noch zehn Schritte von mir; da erhob ich mich rasch und ging ihr entgegen. Sie hatte gelächelt, und ich wußte, wer sie war.
    »Ja, ich bin es,« sagte sie und reichte mir die Hand.
    »Ich habe Sie gleich erkannt,« sagte ich.
    »Ich hoffe, das ist nicht zu schwer gewesen,« erwiderte sie. »Und Sie haben sich eigentlich auch gar nicht verändert.«
    »Sieben Jahre ...« sagte ich.
    Sie nickte. »Sieben Jahre ...«
    Wir schwiegen beide. Sie war sehr schön. Jetzt glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, sie wandte sich zu dem Jungen, den sie noch immer an der Hand hielt, und sagte: »Gib dem Herrn die Hand.« Der Kleine reichte sie mir, schaute mich aber dabei nicht an.
    »Das ist mein Sohn,« sagte sie.
    Es war ein hübscher brauner Bub mit hellen Augen.
    »Es ist doch schön, daß man einander wieder begegnet im Leben,« begann sie, »ich hätte nicht gedacht ...«
    »Es ist auch sonderbar,« sagte ich.
    »Warum?« fragte sie, indem sie mir lächelnd und das erstemal ganz voll in die Augen sah. »Es ist Sommer ... alle Leute reisen, nicht wahr?«
    Jetzt lag mir die Frage nach ihrem Mann auf den Lippen; aber ich vermochte es nicht, sie auszusprechen.
    »Wie lange werden Sie hier bleiben?« fragte ich.
    »Vierzehn Tage. Dann treffe ich mit meinem Manne in Kopenhagen zusammen.«
    Ich sah sie mit einem raschen Blick an; der ihre antwortete unbefangen: »Wundert dich das vielleicht?«
    Ich fühlte mich unsicher, unruhig beinahe. Wie etwas Unbegreifliches erschien es mir plötzlich, daß man Dinge so völlig vergessen kann. Denn nun merkte ich erst: an jene Stunde vor sieben Jahren hatte ich seit lange so wenig gedacht, als wäre sie nie erlebt worden.
    »Sie werden mir aber viel erzählen müssen,« begann sie aufs neue, »sehr, sehr viel. Gewiß sind Sie schon lange Doktor?«
    »Nicht so lange – seit einem Monat.«
    »Sie haben aber noch immer Ihr Kindergesicht,« sagte sie. »Ihr Schnurrbart sieht aus, als wenn er aufgeklebt wäre.«
    Vom Hotel her, überlaut, tönte die Glocke, die zum Essen rief.
    »Adieu,« sagte sie jetzt, als hätte sie nur darauf

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