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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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göttlich grob, er hat es so einfach, so kurz ausgedrückt, daß es mir gleich das erstemal nicht wie ein Scherz, wie eine Galanterie, wie eine Dummheit oder wie eine Impertinenz vorkam, sondern wie das einzige, schwere, aber auch sichere Mittel zu meiner Heilung.
    Mancher hatte schon gesagt: Ach, mein Fräulein, Sie sind eben nervös, es wäre gut, wenn Sie heirateten; und andere drückten sich ungeheuer vorsichtig aus und sprachen von einer durchgreifenden Änderung der Lebensweise; und einige waren riesig verschmitzt und sagten: Fräulein, waren Sie denn noch nie verliebt ... Und andere waren wieder frech und sagten: Wissen Sie, was Sie brauchten ... und machten sehr glühende Augen, und das war mir so zuwider ... Freilich ging's mir selbst zuweilen durch den Kopf, aber doch nur so, als wenn es gar nie ernst werden könnte, und wenn ich daran denken wollte, daß ich dadurch meine schöne, wunderschöne Stimme wiederbekommen sollte – ich hab' einfach lachen müssen. Aber ich fing an zu verzweifeln. Meine Stimme blieb, wie sie war. Ich ermattete nach zwei Tönen, und die Kolleginnen, mit denen ich zu studieren begonnen, wurden alle fertig, gingen ins Engagement und feierten Triumphe. Ich führte ein unheimliches Leben. Es gab Zeiten, in denen ich von drei oder vier Ärzten zugleich behandelt wurde, von einem zum andern lief wie im Traume, drei Kuren zugleich über mich ergehen ließ. Ich verbrachte schauerliche Nächte. Ich träumte von den Erfolgen meiner Kolleginnen. Weißt Du, was das bedeutet? Nach einer Nacht, in der ich drei solche Träume gehabt, nach einem Vormittag, an dem ich bei zwei Gesangsprofessoren gewesen, nach einem Nachmittag, an dem mich zwei Ärzte behandelt, begab ich mich – es war fünf Uhr abends – zum dritten, das heißt zum vierundzwanzigsten. Sein Name war mir schon oft genannt worden. Durch einen Zufall hatte ich bisher versäumt, ihn zu Rate zu ziehen. Ich sagte schon, es war fünf. Sein Wagen stand vor dem Haustor, und wie ich hinauf kam, stand er, der Professor selbst, mit Hut und Rock im Vorzimmer zum Weggehen bereit. Er schrie mich beinahe an: ›Was wollen Sie?‹ Und noch bevor ich antworten konnte: ›... Ich habe keine Zeit, ich muß fort, kommen Sie morgen.‹ Er war noch nicht alt, vielleicht fünfundvierzig. Und seine Grobheit machte mir gar nicht bange. ›Bitte, untersuchen Sie mich doch noch‹, bat ich einfach. Er war beinahe starr, um so mehr, als ich, ohne seine Antwort abzuwarten, voran ins Zimmer ging. Er folgte mir. Ich durchschritt das Wartezimmer, vor der Türe zum Operationszimmer blieb ich stehen. Er öffnete, ging mir voraus, und jetzt erst nahm er den Hut ab, warf ihn auf einen Sessel, setzte sich selbst auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und begann mich auszufragen, fast ohne mich anzusehen. Dann untersuchte er mich, spiegelte mir in den Hals, stellte einige Fragen an mich und schaute mich, nachdem ich ihm alles sehr ehrlich beantwortete, eine Weile mit einem ernsten, beinahe bösen Blick an. Dann stand er auf. ›Ihnen fehlt nichts‹, sagte er, ›adieu.‹ Ich erwiderte heftig: ›Das haben alle gesagt, das ist nichts Neues.‹ Er noch heftiger: ›Ich bin ja nicht dazu da, um Ihnen was Neues zu sagen ...‹ Ich mit zusammengepreßten Zähnen: ›Meine Stimme will ich wieder haben.‹
    ›Ihre Stimme, ja, dafür gibt's kein Rezept, das man aufschreiben kann.‹
    Ich, von einem Hoffnungsstrahl durchleuchtet: ›Aber vielleicht sagen ...‹ Er, indem er den Hut in die Hand nimmt: ›Sagen, ja.‹ Ich, in meiner Erregung, statt ihn zu bitten, schreie ihn an, wütend, fast weinend: ›Also was soll ich nehmen?‹
    Darauf er, wütend, als wenn er mir was antun wollte, auf mich zu und schreit: ›Einen Liebhaber ...‹
    Fritz, so wie dieser Mann mußte man mir's sagen. Das war deutlich. Ich spürte ja wieder in dem Augenblick, da ich es hörte, daß mir dasselbe schon viele, möglicherweise alle gesagt hatten. Aber so beiläufig, so ohne wissenschaftlichen Ernst. Und die meisten mit so schlecht verhehltem Egoismus. Der aber sagte jene Worte in einem Ton, mit dem er auch hätte sagen können: ›Chinin oder Zyankali ...‹ Das erstemal hatte ich einen ärztlichen Rat bekommen, und noch während ich die Treppe hinunterstieg, war ich fest entschlossen, ihn zu befolgen.
    Und da ging ich zufällig vor dem Café Impérial vorbei. Sei aber nicht gar zu böse. Ich war schon eine Stunde spazieren gegangen, hatte viele junge und hübsche Männer begegnet, und mancher

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